Ernst Albrecht hatte mehr Courage

Seit 1993 verpflichten sich die Mitglieder der Landesregierung bei der Amtsübernahme vor dem Landtag auch zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Gänzlich ohne Wirkung scheint dieses Bekenntnis aus Artikel 31 der Landesverfassung für die schwarz-gelben Minister, wenn es um die Atompolitik geht. Der neue Ministerpräsident McAllister verlangte nach eigenen Angaben energisch bei seinen Kollegen im Bundesrat eine ergebnisoffene Atommüllendlagersuche auch im Süden der Republik – Resonanz null. Der für die Atomaufsicht zuständige „Umwelt“Minister Hans-Heinrich Sander verteilt Blanko-Sicherheits-Schecks für die Fortführung der „Erkundung“ genannten Ausbauten des Gorlebener Salzstocks zum Endlager, da schweigt der Ministerpräsident allerdings. Innenminister Schünemann organisiert den größten Polizeieinsatz, den das Wendland jemals zu Gesicht bekam, um weitere Castoren in die Region zu schaffen. Angesichts der immer neuen Hiobsbotschaften aus der maroden Atommüllkippe Asse verlangte wiederum der Ministerpräsident mehr Geld aus Berlin. Irgendwie putzig, nachdem die Kanzlerin den Atommülllieferanten gerade zugesagt hatte, ihnen für die Asse keine Rechnung zu präsentieren - und gleichzeitig das Aufkommen aus der Brennelementesteuer komplett für die Haushaltssanierung verplant ist. Mehr Einsicht hatte sogar Ministerpräsident Ernst Albrecht 1979 gezeigt, als er wenigstens den Bau der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage im Wendland abblies. Über 30 Jahre später wird das Desaster der genauso sorglosen wie konzeptlosen Atommüllpolitik nirgendwo so deutlich wie in Niedersachsen.

Großdemonstration „Atomkraft – Schluss jetzt!“ – dafür ging auch Renate Backhaus (Mitte), atompolitische Sprecherin des BUND Niedersachsen, am 19. September in Berlin auf die Straße. Foto: M. Köhler

Beinah täglich erreichen uns Schreckensmeldungen aus dem Atommülllager Asse. Unklar ist bis heute, wie viel und was genau in die Asse gekippt wurde. Die Rede ist von rund 126 000 Fässern, aber stimmt das auch? Welchen Inhalt haben die Fässer? Der frühere Betreiber der Atommülldeponie, die Helmholtz-Gemeinschaft, spricht von „nur“ schwach und mittelradioaktivem Müll. Wie ist der genaue Zustand der Atommüllfässer?


Bundesumweltminister Norbert Röttgen erklärt vollmundig, die Suche in Gorleben nach einem sicheren Endlager sei – natürlich – ergebnisoffen und transparent. Bei näherem Hinsehen stellt man schnell fest, dass dies nur Sprechblasen sind: In Gorleben soll seit dem 1. Oktober nach dem alten Bergrecht gebohrt und gebaut werden – es gibt keine Bürgerbeteiligung und auch wir als Umweltverband werden nicht beteiligt. Wie kann etwas ergebnisoffen sein, wenn es keine vergleichenden Untersuchungen zum Beispiel in Ton und Granit gibt? In Gorleben glaubt Herr Röttgen, mit nur einer möglichen Variante zum Ziel zu kommen. Damit ihm da keiner ins Handwerk pfuscht, sollen die gesetzlichen Klagerechte von Betroffenen in Zukunft gestrichen werden. Noch sind Klagen möglich – Graf Bernstorff und die evangelische Landeskirche haben inzwischen Klage eingereicht.

Minister Sander hat dem Weiterbau ohne Wenn und Aber zugestimmt. Seine Presseerklärungen erwecken sogar den Eindruck, dass er unser Land für den Bau eines Endlagers auf einem Silbertablett präsentiert. Seine Aufgabe wäre es gewesen, maximale Sicherheit durchzusetzen – Gorleben also abzulehnen. Dass da die Empörung hochkocht, muss niemanden wundern. Es geht um nicht weniger als die Sicherheit von Mensch und Natur: um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und um den Schutz der Lebensgrundlagen auch für die kommenden Generationen (Art. 20a GG).


Rot-Grün hatte mit dem vertraglich und gesetzlich fixierten Atomausstieg bis 2022 den gesellschaftlichen Großkonflikt befriedet. Dass das nicht der aus Sicherheitsgründen eigentlich notwendige Sofortausstieg war, musste allen Beteiligten klar gewesen sein. Gerhard Schröder und Jürgen Trittin waren der Atomwirtschaft und der schwarz-gelben Opposition weit entgegen gekommen. Jetzt werden sich die Koalitionen von CDU, CSU und FDP auf Bundesebene wie in Niedersachsen mit den Konsequenzen auseinander setzen müssen, den Kompromiss einseitig aufgekündigt zu haben. Dieses Vorgehen können wir nur als Provokation empfinden. Die Antwort der Mehrheit in diesem Land, der AtomkraftgegnerInnen, wird den Regierungen in Berlin und Hannover noch zu schaffen machen – die zentrale Forderung lautet: Atomkraftwerke abstellen, sofort. Keinen weiteren Atommüll entstehen zu lassen, muss der erste Schritt sein.


Renate Backhaus

BUND Landesvorstand




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