Vom komplizierten europäischen Regelwerk wissen die Kinder der Klasse 3c der Wilstedter Grundschule nicht viel, als sie im April 2009 mit Schüppen und Eimern Kies in die Wörpe schaufeln, um neuen Lebensraum für Bachforelle, Mühlkoppe, Köcherfliege und Co. zu schaffen. Die Wörpe: ein typisches norddeutsches Flüsschen in der Agrarlandschaft, schnurgerade, mit Schadstoffen belastet, durch Unterhaltungsmaßnahmen vielerorts bis auf den nackten Sandboden ausgeräumt. Kein „guter ökologischer Zustand“ also, das ahnen auch die Drittklässler, die unter der Leitung von Biologin Jutta Kemmer daran etwas ändern wollen.
Ein in Niedersachsen einzigartiges Pilotprojekt hat im April 2008 die Grundlage dafür geschaffen, dass Kinder durch Flüsse stiefeln, Kiesbetten anlegen, Ufer bepflanzen oder einfach nur das Leben im Bach erkunden. Unter der Regie von Stefan Ott vom BUND Landesverband Niedersachsen und Gunnar Oertel von der Stiftung NordWest Natur in Bremen hat sich ein breites Bündnis von Akteuren im Einzugsbereich der Wümme im Landkreis Rotenburg zusammengefunden, um neue Wege bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu beschreiten. „Konkrete Aktionen zum Mitmachen sollen die etwas sperrige Wasserrahmenrichtlinie mit Leben erfüllen und die Bevölkerung vor Ort mit ins Boot holen“, erklärt Gunnar Oertel den Ansatz des auf drei Jahre angelegten Projektes in der „Modellregion Wümme“.
Dazu wurden zwei Schwerpunktgebiete ausgewählt: die Obere Wörpe bei Wilstedt und der Bereich Fintau und Veerse bei Scheeßel. Regionale Projektteams sorgen seither dafür, dass die drei Nebenflüsse der Wümme mit breiter Unterstützung durch die Bevölkerung, Vereine und Schulen wieder in einen guten Zustand versetzt werden. Gelingen soll dies mit Hilfe von beispielhaften Renaturierungsmaßnahmen wie etwa dem Einbringen einer Kiessohle oder der Anlage von auentypischen Kleingewässern einerseits und durch Umweltbildung andererseits. „Wenn wir beides miteinander verbinden können, umso besser“, erklärt Jutta Kemmer von der „Biologischen Station Osterholz“ und Projektleiterin für den Bereich der Wörpe. Die promovierte Biologin zieht nach eineinhalb Jahren eine durchweg positive Bilanz des Projektes: „Die Bereiche Umweltbildung und Naturerlebnis laufen sehr erfolgreich“, sagt die 46-Jährige, die immer wieder mit ganzen Klassen ins Gelände geht. „Die Kinder sind total begeistert!“ Besonders beliebt: durch den Fluss wandern, keschern, Jungfische in die Freiheit setzen. „Im Frühjahr durften die Schüler Meerforellen-Brütlinge in die Wörpe entlassen“, berichtet Kemmer, „davon haben sie noch lange geschwärmt.“