Quo vadis, Bahn in Niedersachsen? - Eine Zwischenbilanz

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Für die Umwelt- und Fahrgastverbände hat ein attraktiver öffentlicher Personennahverkehr (öPNV) einen hohen Stellenwert. Dabei steht die Verlagerung von Pkw-Fahrten auf den Umweltverbund, also auf die eigenen Füße, auf das Fahrrad oder auf Bus und Bahn im Vordergrund.

Durch die Regionalisierung wurde die Verantwortung für Bus und Bahn ab dem1. Januar 1996 auf die Länder übertragen. Welche Chancen und Gefahren zeichnen sich für Niedersachsen eineinhalb Jahre nach der Regionalisierung ab?

Um die neuen Gestaltungsspielräume zu nutzen, hat das Land im März 1996 die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) gegründet. Deren wichtigste Aufgabe ist die Planung und Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs mit Ausnahme der Großräume Hannover und Braunschweig: Hier sind die regionalen Zweckverbände zuständig. Im Sommer hat die LNVG das "Konzept für den Schienenpersonennahverkehr" vorgestellt. Es zeigt die Entwicklungsperspektiven des Bahnverkehrs bis zum Jahr 2001 auf.

Integraler Takt angestrebt

Niedersachsen strebt die Einführung eines Integralen Taktfahrplans an. Dahinter verbirgt sich ein System, bei dem alle Bahnhöfe und Haltepunkte im festen Takt an allen Wochentagen bedient werden. Durch die Fahrplanabstimmung an den Knotenbahnhöfen treffen die Züge aus allen Richtungen gleichzeitig ein, so daß zwischen den Linien regelmäßig Umsteigemöglichkeiten in alle Richtungen bestehen.

Nach dem Schweizer Vorbild hat sich auch in Deutschland die Erkenntnis durchgesetzt, daß mit dem Integralen Taktfahrplan ein Quantensprung in der Beförderungsqualität möglich ist. Schleswig-Holstein hat dabei vor einigen Jahren eine Vorreiterrolle übernommen, weitere Flächenländer wie Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt sind gefolgt.

Positive Erfahrungen mit dem Integralen Taktfahrplan liegen bereits aus Rheinland-Pfalz vor: Im südlichen Teil des Landes fahren seit dem Fahrplanwechsel 1994 fast 40 Prozent mehr Züge. ähnlich sieht es bei den Fahrgastzahlen aus: Erhofft wurde ein Fahrgastzuwachs von 25 Prozent in einem Zeitraum von zwei Jahren, tatsächlich aber stiegen die Fahrgastzahlen innerhalb eines Jahres um 43 Prozent!

Niedersachsen greift nun den Integralen Taktfahrplan relativ spät auf. Ab 1998 soll in einem ersten Schritt eine Vorstufe eingeführt werden, die aber für viele Strecken nur einen Zweistundentakt vorsieht. Dieser Standard mag den Anforderungen des Freizeitverkehrs vielleicht genügen, zurBedienung alltäglicher Mobilitätsbedürfnisse ist er jedoch nicht ausreichend.

Niedersächsische Perspektiven für die Bahn in der Fläche

Für bestimmte Bahnlinien scheint das Land die Nachfolgerolle der Bundesbahn zu übernehmen, die jahrelang ihr Netz erheblich ausgedünnt hat.
So ist beabsichtigt, den Personenverkehr auf der "Castor"-Strecke Lüneburg - Dannenberg einzustellen. Die Strecke sei zu schwach ausgelastet, ausreichende Fahrgastzahlen nicht erreichbar und der Bahnbetrieb langfristig unwirtschaftlich.

Andere schwächer ausgelastete Strecken wie von Bremerhaven nach Cuxhaven, von Wilhelmshaven über Jever nach Esens oder von Osnabrück über Vechta nach Delmenhorst sollen erhalten bleiben. Das ist aber auch dem jahrelangen Engagement von Fahrgastverbänden wie "Pro Bahn" zu verdanken.

Achillesferse Finanzierung

Auch im Bahnnahverkehr geht es um viel Geld. Die LNVG wird nicht müde zu beteuern, daß nicht alle Wünsche finanzierbar, finanzielle Ressourcen begrenzt und die Mittel effizient einzusetzen seien.
Unstrittig ist aber, daß die Bahnreform für die Bundesländer zunächst finanzielle Verbesserungen gebracht hat, weil Bonn im Zuge der Reform den Ländern Geld bereitgestellt hat.

Für Niedersachsen erweist sich allerdings die EXPO 2000 in Hannover zunehmend als Bürde: Während andere Bundesländer flächendeckend Verbesserungen umsetzen, fließen bis 1999 fast alle freien Finanzmittel nach Hannover, insbesondere in den Ausbau der S-Bahn. Geht es um kleinere Maßnahmen außerhalb der Region Hannover, wird jede Mark mehrmals umgedreht. Zwar sind die Fahrgastpotentiale außerhalb der Ballungsräume zunächst geringer, doch läßt sich hier mit vergleichsweise wenig Geld viel erreichen.

Marketing notwendig

Ein weiteres Defizit ist das unzureichende Marketing für Bus und Bahn. Die Erfahrungen zeigen, neue Bahnkunden kommen - aber nicht von
selbst.

Während die Automobilindustrie etwa fünf Prozent ihres Umsatzes in die Werbung investiert, sind es beim öffentlichen Verkehr nur einige Promille. Der Automobilindustrie darf dabei unterstellt werden, daß sie eigenwirtschaftlich handelt und Investitionen in die Produktwerbung einer Rentabilitätskontrolle unterzieht. Auch für Bus und Bahn ist ein professionelles Marketing eine Voraussetzung für zusätzliche Fahrgäste und damit für Einnahmen.

Eine Zwischenbilanz
Welcher Eindruck bleibt nach anderthalb Jahren Regionalisierung in Niedersachsen? Positive Ansätze sind erkennbar, noch mehr bleibt allerdings zu tun. Eine Aufbruchstimmung, wie sie in bestimmten Bundesländern oder Regionen erkennbar ist, hat sich bisher nicht eingestellt. Pfiffige Ideen, die nicht viel kosten, aber Fortschritte bedeuten, sind noch immer Mangelware.

Um in Niedersachsen den öffentlichen Verkehr zu fördern, arbeiten zahlreiche Verbände zusammen. In einem breiten Bündnis für den Nahverkehr sind Fahrgastverbände (wie z.B. Pro Bahn), Umweltverbände, Gewerkschaften und Verbraucherorganisationen
zusammengeschlossen. Inzwischen ist ein konstruktiver Dialog mit der LNVG entstanden. Auch mit dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium findet ein regelmäßiger Austausch statt. Der BUND wird gegenüber beiden Gesprächspartnern in den nächsten Jahren ein konstruktiver und kritischer Begleiter sein!

Joachim Mader
Der Autor Joachim Mader ist Mitglied im Arbeitskreis Verkehr des BUND Niedersachsen und Fahrgastvertreter im Beirat zum Aufsichtsrat der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen.

Nicht nur für Frauen ist die Broschüre "Weichenstellung - Frauen verändern den öPNV", herausgegeben vom Niedersächsischen Frauenministerium, zu empfehlen. Diese aktuelle Veröffentlichung faßt die Grundlagen des öPNV gut zusammen und gibt Tips zur Weiterarbeit (Bezug: o.g. Ministerium, Hamburger Allee 26-30, 30161 Hannover). Auch der BUND hält Informationen zum Thema bereit.

Forderungen des BUND

o Der öPNV muß in der Landespolitik einen höheren Stellwert bekommen. Der Großraum Hannover darf dabei nicht auf Kosten anderer Regionen Niedersachsens begünstigt werden.

o Ziel muß der landesweite Integrale Takt im Stundenrhythmus sein. Ein weiterer Abbau der Bahn ist abzulehnen, die (noch) vorhandenen Strecken sind zu erhalten. Bus und Bahn sind besser zu verknüpfen.

o Bus und Bahn müssen besser vermarktet werden.



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