Norddeutschland aktuell: Ostseeautobahn A 20 - Die Ostsee-Autobahn A 20 wird durchgepeitscht

  • Foto: A20 überquert Feuchtgebiet
  • Foto: Bauarbeiten

Trügerische Hoffnungen in Fernost
Die Eichen im alten Park von Breechen verlieren in diesem Herbst ihre Blätter möglicherweise zum letzten Mal - sie ahnen noch nichts von ihrer tragenden Rolle im Wahlkampf im Nordosten. Rechtzeitig zu den Wahlen in Bonn soll es Schlag auf Schlag vorangehen mit der Ostseeautobahn A 20 im Armenhaus Deutschlands. Von 324 geplanten Kilometern der vier Milliarden Mark teuren Autobahn wird in diesem November ein erstes 26-Kilometer-Teilstück vollendet - und mit dem Baubeginn an der Peene sollen die Bagger den Aufschwungshoffnungen auch im vorpommerschen Ostteil des Landes neue Nahrung geben.

Mehr als wirtschaftspolitische Symbolik wird es nach Ansicht des BUND nicht werden. Denn die Koordinaten der unmittelbaren Nachwendezeit - von der Entwicklung der Verkehrsmengen bis zu den wirtschaftlichen Rahmendaten - stimmen schon lange nicht mehr.

Acht Jahre nach dem Ende der Teilung Deutschlands und drei Jahre nach Baubeginn der A 20 ist für die Schweriner BUND-Landesgeschäftsführerin Corinna Cwielag "der sofortige und restlose Ausstieg aus dieser nutzlosen und umweltzerstörenden Geldverschwendung und der Einstieg in echte Alternativen nach wie vor aktuell."

Die Ökologen sind in die Offensive gegangen. In Schwerin haben sie unter dem Titel "Ostsee-Expreß" ein Konzept für eine schnelle und drastische Verbesserung des Schienenverkehrs
im Küstenland vorgestellt.

Aber Bonn will nicht: Der neue Finanzierungsplan der Bundesregierung verschleppt die Sanierung und den Ausbau der Bahnanlagen bis weit ins nächste Jahrtausend. Doch Peter Westenberger, verkehrspolitischer Sprecher des BUND in Bonn, ist optimistisch: "Nach der Bundestagswahl wird es so oder so einen Kassensturz geben", prophezeit er. Die Straßenbauer stünden zwar unter ungeheurem Druck ihrer eigenen Versprechung, der Aufschwung sei alleine mit der Autobahn zu schaffen, doch am klammen Bonner Haushalt führe nun mal kein Weg vorbei. Bleibe es bei den jetzigen Jahresraten, werde die Autobahn im Jahr 2031 und nicht - wie angekündigt - "schon" 2005 fertig. "Um Fakten zu schaffen, peitschen Land und Planungsgesellschaft DEGES zwar einen Teilabschnitt nach dem anderen durch das Planfeststellungsverfahren, doch dann werden "mikroskopische" Aufträge erteilt, um die öffentlichkeit zu täuschen", beschreibt Peter Westenberger die Situation.

In diesem Stadium versuchen die Naturschützer, das Projekt mit mittlerweile vier gerichtlichen Klagen und Beschwerden in Brüssel zu verhindern. Die Verzögerung soll den verkehrspolitischen Alter-nativen neue Chancen eröffnen.

Herzstück ist für den BUND die Klage gegen den 6,8 Kilometer langen Teilabschnitt, der daseuropäische Vogelschutzgebiet "Peenetal" südlich von Greifswald zerschneiden soll. "Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in den vergangenen Jahren die unglaublichsten Fehler der Planer akzeptiert, aber an der Peene ist alles etwas anders. Hier gilt Europarecht und wir hoffen, den Streitfall vor den Europäischen Gerichtshof bringen zu können", sagt Peter Westenberger. Mit der Klage stehe auch die FFH-Richtlinie, sozusagen das europäische Naturschutzgesetz, auf dem Prüfstand.

Bei der Beschlußfassung der FFH-Richtlinie im Jahr 1992 ist die Meßlatte sehr hoch gelegt worden: Soll in einem ausgewiesenen Schutzgebiet von euro-päischer Bedeutung gebaut werden, ist dies nur durch "zwingende Gründe des überwiegenden Allgemeinwohls" sowie fehlende Alternativen zu rechtfertigen und setzt eine zustimmende Stellungnahme der Brüsseler EU-Kommission voraus.

Alleine die von Bonn angeführte hohe Arbeitslosenrate in Vorpommern reicht dafür nicht aus. Abgesehen davon, erweist sich die A 20 auch in dieser Hinsicht als Blendwerk. Die Umweltschützer haben in den Unterlagen der Planer erstaunliche Zahlen ausgegraben, die Brüssel offensichtlich nie gesehen hat. Der Bau der A 20 brächte demnach - könnte er bis zum Jahr 2005 durchgezogen werden - durchschnittlich 1.400 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern Arbeit. Das wären 1,5 Prozent der dort am Bau Beschäftigten oder ein Fünfhundertstel der insgesamt Beschäftigten. Der andauernde "Abschwung Ost" hat jedoch alleine im ersten Halbjahr 1996 in Mecklenburg-Vorpommern fünfmal so viele Arbeitsplätze gekostet.

Die tatsächlich geringeren jährlichen Investitionen beim Bau der A 20 und die Beschäftigung von Unternehmen aus anderen Bundesländern einberechnet, reduzieren sich die Zahlen sogar auf ein gutes Drittel, also rund 500 Arbeitsplätze, die der Autobahnbau für die Dauer der Bauphase bringen würde. Das Projekt ist also nicht annähernd in der Lage, die Dimension des derzeitigen Arbeitsplatzabbaues in Mecklenburg-Vorpommern aufzufangen.

In einer eigens vom BUND in Auftrag gegebenen und von Netzwerk e.V. geförderten Studie kommt das Berliner "Institut für ökologische Wirtschaftspolitik" außerdem zu dem Ergebnis, daß es bisher keinen Nachweis einer positiven regionalwirtschaftlichen Entwicklung durch den Autobahnbau gegeben hat und dies auch für Mecklenburg-Vorpommern nicht erwartet werden kann. Im Gegenteil: Schnelle Straßen setzen stabile regionale Märkte neuen Konkurrenten aus und wirken somit kontraproduktiv auf den Arbeitsmarkt.

Genau darauf hofft der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Peer Steinbrück (SPD), der die A 20 als Standortfaktor für die dort ansässigen Unternehmen protegiert - die "Märkte in Osteuropa" locken. Was er nicht dazu sagt: "Osteuropa" beginnt für ihn am Stadtrand von Lübeck, der gleichzeitig die Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern darstellt. Leistungsstarke West-Unternehmen wollen auch weiterhin den Absatzmarkt im Osten der Republik schnell bedienen. Einen ersten, vier Kilometer langen Teilabschnitt hat Steinbrück denn auch im Süden planfestgestellt. Rolf Jünemann, BUND-Sprecher in Lübeck, sieht gute Chancen, die dagegen gerichtete Klage von BUND und NABU zu gewinnen, weil "krasse Fehleinschätzungen" zur Entscheidungsgrundlage wurden.

Doch Steinbrück denkt schon weiter: Die A 20 soll bis in die Niederlande verlängert werden und dazu nördlich um Hamburg herumgeführt werden. über die Linienbestimmung ist man jedoch im Planungsprozeß nicht hinausgekommen. Immerhin, die Pläne sind schon so alt, wie ein Großteil der in Breechen heute bedrohten Eichen - sie stammen aus den dreißiger Jahren!

Peter Westenberger

Peter Westenberger ist Verkehrsexperte des BUND-Bundesverbandes in Bonn



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