"Gnadenlos wird alles der Arbeit aufgebürdet."Jürgen Peters, IG-Metallvorsitzender auf einer Diskussionsveranstaltung der Umweltverbände
Ein verheerender Trend, der nach Ansicht der Umweltverbände umgekehrt werden muß: Während der Staat 1970 noch 45 Prozent seiner Einnahmen aus der Besteuerung der Arbeit bezog, waren es 1996 bereits 67 Prozent. Gleichzeitig sank der Anteil der umweltbezogenen Steuern von 12 auf 8 Prozent.
Dennoch ist die Ökosteuer nur ein Instrument, nur eine Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit und entbindet die Politik nicht von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und weiteren Anstrengungen.
Bm: Die Umkehrung des alten Prinzipes: teure Arbeit, billige Energie hat offenbar viele Gegner. Wer sind die Bremser einer solchen Reform?
Reiche: Die Widerstände sind vor allem dort zu finden, wo die Verlierer sind, nämlich in den kapitalintensiven Industrien wie der Chemieindustrie und der Energiewirtschaft.
Sie machen ihre Gewinne, indem sie die Arbeitsproduktivität ständig steigern, mit anderen Worten, indem sie Arbeitsplätze wegrationalisieren und Menschen durch Maschinen und Energie ersetzen. Mit der ökologischen Steuerreform soll es nun in die Gegenrichtung gehen: Jetzt wird nicht mehr die Arbeits- sondern die Ressourcenproduktivität gesteigert, statt Menschen werden Kilowattstunden "arbeitslos". Das ist für viele in der Wirtschaft, die mit dem alten Konzept gut gefahren sind, nicht tragbar und deshalb lehnen sie eine ökologische Steuerreform ab.
Die Gegner haben Verbündete in den Parteien, in den Unternehmensverbänden und Gewerkschaften und gemeinsam mobilisieren sie den öffentlichen Widerstand.
Bm: Vorbehalte gegen eine solche Reform hat nicht nur die Großindustrie - auch viele Bürgerinnen und Bürger sind skeptisch. Eine Verteuerung des Benzins auf fünf Mark kann man sich sofort ausrechnen, die Vergünstigungen dagegen sind auf keine griffige Formel zu bringen.
Reiche: In das öffentliche Bewußtsein rückt nur die Belastung, am besten festzumachen an diesen fünf Mark.
Die Entlastung besteht jedoch darin, daß die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen gesenkt werden und der Nettolohn dadurch steigt. Das eigentliche Problem besteht darin, daß es Bevölkerungsgruppen gibt, die nicht von einem höheren Nettolohn profitieren, beispielsweise Rentner, Studenten und Sozialhilfeempfänger. Deshalb haben wir in unserem Konzept gefordert, die sozialen Transferleistungen wie Sozialhilfe oder Bafög zu erhöhen, damit durch die ökologische Steuerreform die soziale Schieflage nicht noch weiter verstärkt wird.
Bm: Ist denn sichergestellt, daß bei Familien mit geringem Einkommen die Verteuerung der Energie sozialverträglich kompensiert wird?
Reiche: Die Menschen sind schon jetzt von den Energiekosten sehr unterschiedlich betroffen. Jemand mit einem Monatseinkommen von 15.000 Mark zahlt etwa zwei Prozent seines Einkommens für Energie, jemand mit einem Monatseinkommen von 1500 Mark muß über zehn Prozent für Energie aufwenden. Deshalb ist es wichtig, daß in einer ökologischen Steuerreform gesetzlich festgelegt wird, daß das Aufkommen erstens für die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und zweitens für soziale Transferleistungen eingesetzt wird.
Für etwas anderes ist das Aufkommen aus der Ökosteuer nicht gedacht.
Bm: Trotzdem - wird Autofahren zum Privileg der Besserverdienenden?
Reiche: Nein. Das Grundproblem in der ganzen Diskussion ist, daß Preise und Kosten miteinander verwechselt werden. Höhere Preise sind nicht automatisch mit höheren individuellen Kosten verbunden. Ein Beispiel: In den USA kostet der Liter Benzin an der Tankstelle 50 Pfennig, in der Bundesrepublik etwa 1,60 Mark.
Obwohl die Preise sehr unterschiedlich sind, ist Autofahren in den USA de facto teurer, weil die Leute dort aufgrund der niedrigen Spritkosten große, schwere Autos mit einem riesigen Spritverbrauch fahren. Bei uns verbrauchen die Autos derzeit 9,4 Liter im Durchschnitt. Fährt man in Zukunft ein Drei-Liter Auto bei einem Spritpreis von 4,60 Mark, hat man keine höheren individuellen Kosten. Der Fehler ist es, daß die Leute vom Status quo ausgehen und den heutigen Spritverbrauch einfach auf die von uns geforderten Preise hochrechnen.
Innovationswirkungen, die in zehn Jahren schon zum Tragen kommen, werden bei all diesen Berechnungen nicht berücksichtigt.
Bm: Wie kriegt denn nun die ökologische Steuerreform den richtigen Schub?
Reiche: Das wird vom Wahlergebnis der Bundestagswahl im September abhängen. Die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP hat sich bisher auf eine europaweite Energie-bzw. CO2-Steuer festgelegt.
Das kommt einer Verhinderungsstrategie gleich, da der europaweite Einstieg in die Ökosteuer keinerlei Realisierungschancen hat. Er scheitert an den sehr unterschiedlichen Interessen der einzelnen Länder und am Einstimmigkeitsprinzip im EU-Ministerrat. Am engagiertesten treten die Grünen für eine nationale Ökosteuer ein, bei der SPD gibt es widersprüchliche Aussagen zur ökologischen Steuerreform. Gerhard Schröder hat sich kritisch geäußert, Oskar Lafontaine dagegen zählt zu den Befürwortern einer Ökosteuer.
Am ehesten sind von einer rotgrünen Regierung Initiativen in dieser Richtung zu erwarten. Dabei wird es vor allem auf die Standhaftigkeit der Grünen ankommen.
Bm: Und was können die Umweltverbände tun?
Reiche: Die Umweltverbände müssen weiterhin öffentlichen Druck erzeugen, der nötig ist, um der ökologischen Steuerreform zum politischen Durchbruch zu verhelfen.
Sie müssen Rückgrat beweisen und einen langen Atem haben, denn es geht hier nicht um ein kleines Reförmchen, sondern um eine Jahrhundertreform. Es geht um die Ökologisierung der Marktwirtschaft, was für mich eine vergleichbar große Anstrengung ist wie die Aufnahme der Sozialgesetzgebung im letzten Jahrhundert.
Die ökologische Steuerreform ist allein aber bestimmt nicht ausreichend für ein dauerhaft umweltverträgliches, nachhaltiges Deutschland. Dafür werden wir sicher auch noch unseren Lebensstil diskutieren müssen.
Das Interview führte Sabine Littkemann
Informationen:
Ein umfangreiches Positionspapier zur ökologischen Steuerreform, Kampagnenmaterial und Mustervorträge gibt es beim Leiter der Ökosteuer-Kampagne der Umweltverbände, Edgar Endukraites in Bonn unter der Telefonnummer 0228/359005, Fax: 3590-96 oder in der BUND-Landesgeschäftsstelle bei S. Maurer-Wohlatz, Tel.: 0511/96569-12, Fax: 0511/96569-27.