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Natur auf dem Rückzug: Die Elbe soll vertieft werden

Foto: Ästuar
Der angestrebte Tiefgang von 15,3 Metern für Containerschiffe wird wahrscheinlich in kaum mehr als einem Prozent aller Schiffspassagen genutzt. Foto: J. Ludwig
Übersicht: Ausbau der Ästuare

Foto: Säbelschnäbler
Ein ästuar-typischer Vogel: Der Säbelschnäbler. Foto: W. Schlechtweg

Seit fast 150 Jahren wird die Mündung der Elbe für die Schiffahrt ausgebaut. Nun planen Hamburg und Niedersachsen die sechste Ausbaustufe: Die Unterelbe zwischen Hamburg und Glückstadt soll von derzeit 13,5 Meter auf bis zu 15,3 Meter vertieft werden. Dann können auch die "Riesen" unter den Containerschiffen den Hamburger Hafen tideunabhängig verlassen - für Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) die Voraussetzung für einen erfolgreichen Hafen- und Wirtschaftsstandort Hamburg. Was bedeutet dieser weitere schwere Eingriff in das Flußbett für die Natur der Unterelbe? Beatrice Claus vom Projekt "Ästuare" der Umweltverbände BUND und WWF beschreibt, was auf dem Spiel steht.


Drei große Flüsse münden auf niedersächsischem Gebiet in die Nordsee: Elbe, Weser und Ems. Die Mündungstrichter der Flüsse, Ästuare genannt, sind ursprünglich breite und flache Ströme, die durch Inseln und Sandplaten in mehrere Flußrinnen aufgeteilt sind. Ästuare stellen einen Ubergangsbereich zwischen Land und Meer dar: Hier mischen sich Salz- und Süßwasser zum sogenannten Brackwasser, und die Gezeiten - Ebbe und Flut - führen zu einem regelmäßigen Wechsel der Wasserstände im Einzugsbereich des Ästuars.

Das Leben im Brackwasser der Flußmündungen erfordert von Tieren und Pflanzen ein hohes Maß an Anpassung: Sie müssen nicht nur mit schwankenden Salzgehalten und Wasserständen zurechtkommen, sondern auch periodisches Trockenfallen, wechselnde Strömungen und starke Winde ertragen können. Röhrichte und Salzwiesen sind charakteristisch für die Vegetation der Ästuare und bestimmen auch heute noch das Bild der Elbemündung. Die früher ausgedehnten Auwälder sind heute bis auf kleine Reste verschwunden - bemerkenswerterweise wächst jedoch oberhalb von Hamburg an der Süderelbe der letzte Tideauwald Europas!

Röhrichte, Wattflächen und Flachwasserbereiche, Inseln und Sandplaten der Elbemündung sind ein wahres Eldorado für Küsten-, Wat-, Wasser- und Röhrichtvögel. Vor der Ostemündung brütet der vom Aussterben bedrohte Kampfläufer und die äußerst seltene Flußseeschwalbe. Zugvögel rasten alljährlich zu Tausenden im Elbevorland und hinter den Deichen und legen sich hier die nötigen Fettreserven für den langen Flug zu.
Die nahrungsreichen Priele, Flachwasserbereiche und Nebengewässer der Elbe sind die Kinderstube vieler Fischarten, und für Meerforelle, Lachs, Flußneunauge und Aal ist die Elbe Wanderweg zu den Laichplätzen.

Die früher florierende Fischerei in der Elbemündung bezeugt eindrucksvoll den natürlichen Fischreichtum der Ästuare.
Eindeichungen und landwirtschaftliche Nutzungen, vor allem aber der Flußausbau für die Seeschiffahrt haben das Gesicht der Unterelbe radikal verändert.

Die natürliche Flußdynamik wie die Verlagerung von Rinnen und die Entstehung und Wanderung von Inseln ist weitgehend unterbunden worden. Durch die Vertiefung des Flusses und durch die Beseitigung von Untiefen hat sich der mittlere Tidenhub, das ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut, extrem erhöht. In Hamburg ist er von etwa 124 Zentimetern im Jahr 1898 auf 365 Zentimeter im Jahr 1996 angestiegen!

Das Niedrigwasser ist stark gefallen, mit der Folge, daß bereits gut ein Viertel der Flachwasserbereiche trockengefallen sind und damit ihre ökologische Funktion verloren haben.

Durch die Ausbaumaßnahmen hat zudem die Fließgeschwindigkeit im Hauptstrom der Elbe stark zugenommen, ein Effekt, der durchaus beabsichtigt ist, da er Unterhaltungsarbeiten zur Freihaltung der Fahrrinne spart. Für die Tierwelt hat die erhöhte Fließgeschwindigkeit der Elbe allerdings fatale Folgen: Während im Strom Jungfische und andere Kleinlebewesen immer mehr verdriften, werden die Seitenbereiche des Flusses dagegen kaum noch durchströmt und verschlicken - damit verschlechtern sich die Laichbedingungen für Fische erheblich.

Durch die starke Strömung hat auch die Erosion an den Ufern zugenommen, mit der Folge, daß nun umfangreiche Uferbefestigungen die natürliche Ufervegetation und -zonierung zerstören. Durch die Verschiebung der Brackwasserzone flußaufwärts (seit 1950 um bis zu 20 Kilometer) haben die tidebeeinflußten Süßwasserbereiche stark an Fläche eingebüßt. Heute zählen Süßwasserwatten wie Salzwiesen, Tideauwälder und Röhrichte zu den am stärksten gefährdeten Lebensräumen.
Der Mündungstrichter der Elbe teilt sein Schicksal mit denen anderer Ästuare: Ihr Zustand weicht heute so weit vom natürlichen Zustand ab, daß aus Sicht des Naturschutzes sogar großflächig renaturiert werden müßte, um den ästuartypischen Charakter der Flußmündungen zu bewahren.

Stattdessen geschieht das Gegenteil: Auch noch die letzten Refugien für die Tier- und Pflanzenwelt der Ästuare werden an der norddeutschen Küste wirtschaftlichen "Zwängen" geopfert. Jede weitere Vertiefung von Unter- und Außenelbe wird die ohnehin bedrohliche Situation der elbetypischen Fauna und Flora weiter verschlechtern.
Nicht nur für die Natur, sondern auch für den Hochwasserschutz sind bei weiteren Flußvertiefungen Nachteile zu erwarten: Ästuare haben eine natürliche Pufferfunktion bei Hochwasser, die durch den Ausbau der Flußunterläufe, durch Vordeichungen und Sperrwerke verloren geht. So laufen heute durch die Vordeichungen in den siebziger Jahren und die erfolgten Elbeausbauten die Sturmfluten in Hamburg rund 60 Zentimeter höher auf.

Jede weitere Vertiefung der Außen- und Unterlelbe wird die Hochwassergefahr für Hamburg erhöhen und Küstenschutzmaßnahmen nach sich ziehen, die am Ende - wieder einmal - auf Kosten der Natur umgesetzt werden.
Statt die Flüsse ständig neuen Schiffsgenerationen anzupassen, sollte das technische Know-how eingesetzt werden, um die Schiffe den Flüssen anzupassen. Auch durch Hafen-Kooperation statt Hafen-Konkurrenz könnten Flußvertiefungen vermieden und Steuergelder gespart werden.

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Quelle: http://archiv.bund-niedersachsen.de/service/bundmagazin/31997/natur_auf_dem_rueckzug_die_elbe_soll_vertieft_werden/