Fast 30 neue Kohlekraftwerke sollen in den nächsten Jahren in ganz Deutschland neu gebaut werden, davon allein sieben in Niedersachsen. Warum? Importkohle ist billiger als heimische. Sie kommt in den Küstenhäfen an, wird verstromt und dann durch die Republik geschickt. Aufwändig, klimapolitischer Unsinn, weil mit hohen CO2-Emissionen verbunden, aber lukrativ für die Stromkonzerne. Vom Energieeinsatz für den Transport, unwürdigen Arbeitsbedingungen und schwerwiegenden Eingriffen in den Naturhaushalt in den Exportländern redet man ohnehin nicht.
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hatte Anfang April pressewirksam vor Wirtschaftsvertretern betont, er wolle Niedersachsen als "Kraftwerksstandort für die Zukunft sichern". Aber auch die oppositionelle SPD hat nicht wirklich etwas dagegen und FDP-Minister Sander setzt auf den schnellen und umfangreichen Neubau von Kohlekraftwerken. Das Land unterstütze, sagte er am 10. April 2008 im Landtag, die Vorhaben in Stade, Wilhelmshaven, Emden und Dörpen im Emsland. Das klare "Nein" der Ostfriesischen Inseln, die Anfang April eine Resolution gegen die Kohlekraftwerke in Eemshaven in den Niederlanden und in Emden und Wilhelmshaven verabschiedet haben, ficht den Minister nicht an. Von einer "erfundenen Stromlücke" hingegen sprach Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel. Seine Versicherung: bei einem Ausbau von erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung bestehe auch bei Fortsetzung des Atomausstiegs keine Gefahr für eine sichere Stromversorgung.
Experten sind sich einig: Der Neubau von Kohlekraftwerken ist auch bei einem Wirkungsgrad von bis zu 50 Prozent kein Beitrag zum Klimaschutz, weil die Wärme ungenutzt bleibt. Es gibt keine klimaschädlichere Art der Stromerzeugung als die Verbrennung von Kohle. Braun- und Steinkohlekraftwerke sind mehr als doppelt so klimaschädlich wie moderne Gaskraftwerke. Trotz großer Mengen an Überschussstrom - im Jahr 2006 waren es immerhin 20 Milliarden Kilowattstunden - taucht immer wieder das Gespenst mangelnder Versorgungssicherheit auf. Doch es melden sich zunehmend Stimmen, die nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch mit dem Blick auf touristische Ziele, den Erhalt von Naherholungslandschaften und damit auf ökonomische Nachhaltigkeit vor dem Bau weiterer Kohlekraftwerke an Niedersachsens Küsten warnen. Der Neubau von Kohlekraftwerken schriebe diese Art der Energieerzeugung für weitere 30 bis 40 Jahre fest.
Die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ist, so rechnet BUND-Experte Thorben Becker vor, der Schlüssel dafür, dass Deutschland auf den Bau klimaschädlicher Kohlekraftwerke verzichten kann. Die Energiekonzerne planen derzeit bundesweit 27 neue Kohlekraftwerke, die den CO2-Ausstoß um über 100 Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen würden. Mit dem gesamten KWK-Potenzial könnte der CO2-Ausstoß dagegen um mindestens 54 Millionen Tonnen pro Jahr im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken verringert werden, weist der BUND in einer aktuellen Kommentierung "Effiziente Heizkraftwerke statt klimaschädliche Kohlekraftwerke, anlässlich der 1. Lesung des KWK-Gesetzes im Deutschen Bundestag (Stand 6.3.08) nach.
Gesamtplanung?
"Es ist höchst problematisch, dass es keine Gesamtplanung und keine Zusammenschau der Immissionswirkungen von Kohlekraftwerken in Niedersachsen gibt", kritisiert Dr. Marita Wudtke, Referatsleiterin Naturschutz/ Umwelt beim BUND Niedersachsen. Fast allen in Niedersachsen geplanten Kohlekraftwerken fehlt die moderne Kraft-Wärme-Kopplung. Wegen der mangelnden Energieeffizienz ist so ein Investitionsmanagement nicht nur wenig zeitgemäß, sondern vor dem Hintergrund ehrgeiziger Klimaschutzziele nicht mehr tolerabel. Trotz moderner Filteranlagen werden Schadstoffe freigesetzt, die eine Gesundheitsgefährdung darstellen, vor allem für Kinder, ältere und gesundheitlich vorbelastete Menschen. Reizgase, Feinstaub und Schwermetalle werden in die Atmosphäre abgegeben, Asthma, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen und Allergien sind die Folge.
Nimmt man im Schnitt einen CO2-Ausstoß von 4,5 Millionen Tonnen (Bezugsgröße 800 MW) für die sieben niedersächsischen Neuplanungen an, so reden wir über etwa 27 Millionen Tonnen zusätzliche jährliche Neubelastung des Klimas mit Kohlendioxid. Der Disput geht quer durch Interessengruppen und Gemeinden: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für Ostfriesland und Papenburg lehnt aus ökologischen und touristischen Gründen das in Emden geplante Kohlekraftwerk ab, die IHK Stade sieht ohne den Bau neuer Kohlekraftwerke die Energieversorgung gefährdet, berichten regionale Medien.
Wilhelmshaven, Emden, Stade, Dörpen
Am 4. und 5. März 2008 fand der erste Erörterungstermin nach Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) für ein weiteres neues Kohlekraftwerk an der Niedersächsischen Küste statt: In Wilhelmshaven hat der belgische Konzern Electrabel ein 800 Megawatt-Steinkohlekraftwerk ohne Kraft-Wärme-Kopplung und CO2-Abscheidung und mit lediglich 46 Prozent Wirkungsgrad mit sofortigem Beginn der Maßnahme beantragt.
Die Zahlen schwanken, rund zehn Kohlekraftwerke sind in Norddeutschland derzeit insgesamt in Planung, immerhin drei wären es dann in Wilhelmshaven: das bestehende (E.on, rund 750 MW) bleibt am Netz, das beantragte soll 2011 in den Probebetrieb und 2012 ans Netz gehen und ein weiteres der Firma E.on mit 500 MW Leistung, Kraft-Wärme-Kopplung und Wirkungsgrad 50plus ist aktuell in der Planung. Das bestehende Kraftwerk der Firma E.on (750 MW) ist jetzt etwa 30 Jahre alt, und soll auch nach den Neubauten noch weiterlaufen - das Argument, dass alte "Dreckschleudern" durch moderne Technologie ersetzt würden, ist hier also hinfällig.
"Außer CO2 werden Schadgase wie Stickoxide, Schwefeldioxid und Schwermetalle wie Quecksilber, Blei, Cadmium und Arsen emittiert", berichtet Joachim Tjaden von der BUND-Kreisgruppe Wilhelmshaven. Das hat nicht nur gravierende Auswirkungen auf Natur und Landschaft, sondern auch höchst nachteilige auf den Tourismus. "Gase und Schwermetalle gehen, entsprechend der Hauptwindrichtung in Wilhelmshaven, auf den Jadebusen und damit auf landes- und europaweit geschützte Landschaftsräume (Nationalpark, NATURA 2000-Gebiet) und attraktive Tourismusregionen nieder und reichern sich im Ökosystem Wattenmeer an. Über die Nahrungskette schädigen sie nicht nur höhere Tiere wie Seehunde oder Schweinswale, sondern gefährden letztlich auch den Menschen."
Die Kühlwasserentnahme und Rückgabe liegt in Wilhelmshaven in der Jaderinne außerhalb des Nationalparks (NLP), doch durch die Erwärmung, die geänderten Strömungsverhältnisse und die Entnahme und Zerstörung von Organismen mit dem Kühlwasser sind selbstverständlich angrenzende Schutzgebiete (NLP, NATURA 2000) betroffen. Durch Abwärmenutzung beziehungsweise Kraftwärmekopplung könnten diese Wirkungen erheblich reduziert werden. Eine Bürgerinitiative, Anwohner und BUND-Aktive wenden sich in Wilhelmshaven konsequent gegen die Planungen.
Widerstand wächst
In Stade sind derzeit drei Kohlekraftwerke in der Planung. Für eines davon (Electrabel) läuft das Genehmigungsverfahren. "Der Widerstand nimmt seit einigen Wochen deutlich zu", berichtet Monika Niemeyer von der Kreisgruppe Stade. Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, Unterschriftenlisten, politische Initiativen sowohl im Kreistag als auch bei der Stadt sind die eingesetzten Mittel - bis hin zu rechtlichen Schritten. "Dass die Stimmung sich verändert, haben wir an den Samstagen im März gespürt, an denen die Kreisgruppe einen Infostand in der Stader Innenstadt hatte. Man darf hoffen", zeigt sich Niemeyer verhalten optimistisch.
In Wilhelmshaven, Stade und Dörpen sind es vor allem Anwohner und Bürgerinitiativen, die sich gegen den Neubau der Kohlekraftwerke sperren, in Emden hat auch Oberbürgermeister Alwin Brinkmann (SPD) eindeutig Position gegen die dortigen Kohlekraftwerksplanungen bezogen. Interessantes Detail: Alle Flächen für geplante Kraftwerke in Stade, Emden und Wilhelmhaven gehören der Hafengesellschaft Niedersachsen N-Ports. Rolf Runge vom BUND betont ebenfalls die Belastungen, die dem Regionalen Tourismus entstünden. Emden als "Hauptstadt der regenerativen Energien" sei kein geeigneter Standort für eine derartige Quelle von Staub- und CO2-Emissionen. In Emden will der dänische Energiekonzern Dong Energy auf dem Areal des Wybelsumer Polders ein Kraftwerk mit jeweils zwei 800-MW-Blöcken bauen, die Machbarkeitsstudie wird jedoch erst im Juli dieses Jahres vorgelegt.
Die Dörpener BUND-Kreisgruppe hat im März 2008 zum Kohlekraftwerk Position bezogen und unterstützt ihrerseits die Bürgerinitiative "Saubere Energie", berichtet Maria Feige-Osmers. Zum Widerstand der Bevölkerung - immerhin haben die Dörpener rund 11.000 Unterschriften gesammelt - hat eine Veranstaltung mit Prof. Dr. Olav Hohmeyer vom Weltklimarat beigetragen. Die Dörpener fordern einen Energiemix aus Sonnenenergie-Nutzung und Off-shore-Windkraft-Anlagen, um die Stromgrundlast abzusichern. Energieeffizienz und Energie sparen sind nicht nur in Dörpen entscheidende Stichworte im Widerstand gegen die Planungen.
Die Alternativen sind längst bekannt: Die EU fordert, bis 2020 Windkraft und Co. verbindlich auf 20 Prozent auszubauen. In Deutschland beträgt der Anteil derzeit lediglich knapp fünf Prozent. Auch Niedersachsen will endlich nachbessern bei erneuerbaren alternativen Energien, hat Minister Sander kürzlich angekündigt. Was kann jeder selbst tun? Energie sparen und weniger Heizen, Elektrogeräte ausschalten und auch ohne Tempolimit langsam und Sprit sparend fahren, weniger fliegen, Passivhäuser bauen und Altbauten sanieren ...
Imma Schmidt
Pressereferentin des BUND LV Niedersachsen e.V.
Weiterführende Information unter
www.gegenwind-whv.de oder
www.zeche-ruestersiel.de und
www.aerzteinitiative-whv.de
www.saubere-energie-doerpen.de
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