"Wir sind auf einem guten, aber langen Weg", schrieb die neue Landesregierung 2004, ein Jahr nach dem Regierungswechsel. Was den Natur- und Umweltschutz betrifft, kann ich nur sagen: Dieser Weg hat in die Irre geführt. Bis heute nutzt die Landesregierung nicht ihre Möglichkeiten, zukunftsfähige Politik zu betreiben - eine Politik, die Natur- und Umweltschutz ernst nimmt und gleichzeitig Arbeitsplätze sichert und neue schafft.
Besonders augenfällig ist dies bei ihrer verantwortungslosen und rückwärtsgewandten Atompolitik. Sie verweigert sich einer Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle. Statt sich an die Spitze derjenigen zu setzen, die Sicherheit für Mensch und Natur zur obersten Priorität machen, hält die Landesregierung an den unsicheren und nicht zukunftsfähigen Lagerstätten Gorleben und Schacht Konrad fest. Gleichzeitig will sie den Betreibern von Atomkraftwerken bei der Installation von so genannten Schutzeinrichtungen gegen terroristische Angriffe aus der Luft weit entgegenkommen und die Aufstellung von Nebelwerfern rund um die AKW ohne förmliches Genehmigungsverfahren gestatten. Dazu passt dann auch die Forderung des Wirtschaftsministers nach dem Bau neuer Atomkraftwerke.
Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) hält die Grenzwerte der EU-Richtlinie für die Feinstaubbelastungen für unrealistisch und verniedlicht die Gefahren. Nur 40 Prozent der Partikel stammen laut Sander vom Verkehr. Den großen Rest machten Stäube aus Industrie und Haushalten aus, aber sogar Teilchen aus der Natur wie Salze an der Küste oder Blütenpollen tragen nach Ansicht des Umweltministers zur Feinstaubbelastung bei! Statt zu verharmlosen sollte die Landesregierung ihre Möglichkeiten im Aufsichtsrat von VW nutzen, um eine fortschrittliche Produktpolitik bei den Wolfsburger Autobauern zu erreichen. Auch die vom Land abgelehnte steuerliche Förderung der Nachrüstung von Diesel-PKW mit Rußfiltern würde das Problem wirksamer bekämpfen als Gedanken über den Pollenflug.
Gern schmückt sich der Umweltminister mit der Aussage, Naturschutz nur mit den Menschen zu machen. Aber was ist diese Aussage wert? Kürzlich ließ das Umweltministerium verlauten, dass die Mittel für die niedersächsischen Nationalparkhäuser mit dem Auslaufen der derzeitigen Verträge drastisch gekürzt werden sollen. Das könnte schon bald das Aus für die Nationalparkhäuser in den beiden Nationalparken Harz und Wattenmeer bedeuten. Dabei wird gerade in den Nationalparkhäusern an der Küste, auf den Inseln und im Harz den Menschen sehr erfolgreich die Natur nahe gebracht. Nach dem Motto "Nur was man kennt, schützt man auch" arbeitet der BUND in den Nationalparkhäusern schon seit vielen Jahren praktisch und vor Ort. Der große Zulauf und das rege Interesse bei den Nationalparkbesuchern an diesen Bildungseinrichtungen bestätigen uns. Der Umweltminister hingegen scheint nicht daran interessiert zu sein, den Menschen die Natur und ihren Schutz wirklich nahe zu bringen.
Genauso trübe sind die Aussichten im Arten- und Biotopschutz. Die Landesregierung ist dabei, Niedersachsen zum ökologischen Armenhaus Europas zu machen. Beispiel FFH-Richtlinie: In Niedersachsen wurden nur sieben Prozent der Landfläche zum Europäischen Schutzgebietsnetz "Natura 2000" gemeldet, selbst aus den Stadtstaaten Bremen und Hamburg kam da mehr. Auch im Küstenschutz geht diese Landesregierung auf Konfrontationskurs mit Naturschützern. Der für den Deichbau notwendige Kleiboden soll zukünftig ausgerechnet in den Salzwiesen abgebaut werden. Dabei erfüllen die Salzwiesen eine wichtige Funktion für Brut- und Rastvögel und sind FFH- und/oder Vogelschutzgebiet - anders gefragt: Wer würde heute noch den Kölner Dom abbauen, um mit den Steinen an anderer Stelle Häuser zu bauen? Für den Küstenschutz stehen im Binnenland weitgehend ausreichende Flächen zur Bodenentnahme zur Verfügung. Der BUND wird sich gegen diese falsche Art der Kleigewinnung wehren, selbst wenn die Landesregierung versuchen sollte zu behaupten, wir seien gegen den Küstenschutz. Das beliebte Spiel mit der Angst wird der BUND nicht mitspielen.
Wenn es um den Schutz von Lebensräumen und Landschaften geht, spielen wir dagegen gerne mit. Mit unserer Marketing-Initiative "Heimat braucht Freunde" haben wir ein Projekt zur Sicherung und zum Erhalt der niedersächsischen Kulturlandschaften entwickelt. Wir wollen damit erreichen, dass die zum Teil artenreichen und meist nur extensiv bewirtschafteten alten Kulturlandschaften besser geschützt und nachhaltig genutzt werden können. Moor- und Heidschnuckenfleisch, Urlaub auf dem Bauernhof, Rindfleisch aus artgerechter Tierhaltung - mit diesen Produkten wollen wir für die Kulturlandschaften Niedersachsen werben und sie den Menschen näher bringen. Dieses Projekt zeigt auch, was wir an anderen Stellen schon lange praktizieren: Landwirtschaft und Naturschutz sind keine Gegensätze, Naturschutz und Arbeitsplätze auch nicht. Das Projekt zeigt aber auch: Wir sind nicht nur auf Konfrontationskurs - wir suchen die Kooperation. Als Schirmherr des Projektes "Heimat braucht Freunde" konnten wir Ministerpräsident Christian Wulff gewinnen.
Insgesamt weht jedoch dem Natur- und Umweltschutz in Niedersachsen derzeit der Wind hart ins Gesicht. Oft muss das vermeintlich knappe Geld herhalten für Argumente gegen Natur und Umwelt. Aber langer Atem zahlt sich aus - dafür sprechen nicht zuletzt 44 Jahre BUND Niedersachsen und 30 Jahre BUND Bundesverband. Wir werden einerseits der Landesregierung immer wieder sehr deutlich die rote Karte auf ihren falschen Wegen zeigen, andererseits aber versuchen, mit ihr zusammen zu arbeiten und sie auf den richtigen Weg zu bringen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, demnächst wieder mehr Erfolge im Natur- und Umweltschutz in Niedersachsen zu feiern.
Ihre Renate Backhaus, Landesvorsitzende