Der Weißstorch, einst Charaktervogel des norddeutschen Tieflandes, kämpft heute um sein Uberleben. In den Niederlanden als Wildvogel bereits ausgestorben, hat Adebar in den vergangenen 25 Jahren auch weite Teile Niedersachsens als Brutrevier aufgegeben: Flurbereinigungen, Entwässerungen und Zerstörungen der Flußtalauen, Grünlandverluste und die Intensivierung der Landwirtschaft haben die Nahrungsgrundlage des schwarzweißen Segelfliegers zerstört.
Der Niedergang dieser Vogelart ist durch langjährige und detailgenaue Bestandserfassungen hervorragend dokumentiert: War zu Beginn des Jahrhunderts der Weißstorch in Niedersachsen noch flächendeckend vertreten - 1907 wurden rund 4.500 Paare gezählt - brachen seine Bestände zwischen 1950 und 1970 dramatisch zusammen und erreichten 1988 mit nur noch 247 Brutpaaren einen traurigen Negativrekord. Dieser jahrzehntelange Abwärtstrend scheint nun gebrochen: Die Zahl der Storchenpaare ist seit 1990 in Niedersachsen kontinuierlich angestiegen. So zogen im vergangenen Jahr bereits wieder 354 Storchenpaare knapp 700 Junge groß.
Dennoch besteht kein Anlaß zur Euphorie: Zur Zeit brüten erst wieder soviele Störche in Niedersachsen wie zu Beginn der achtziger Jahre. Einige gute Mäusejahre und überdurchschnittlich viele Niederschläge in den afrikanischen Winterquartieren südlich der Sahara sind die Hauptursachen der jüngsten Bestandserholung. Gute Nahrungsbedingungen in den Winterquartieren erhöhen die Uberlebensrate und lassen die Störche in guter Verfassung den Heimzug ins Brutgebiet antreten.
Nur in den östlichen Landesteilen Niedersachsens legt der Storch zu, im Westen und Nordwesten des Landes dagegen stagnieren die Bestände auf niedrigem Niveau. Der Zuwachs bei uns ist hauptsächlich auf die Ansiedlung junger Störche aus den noch relativ intakten Populationen östlich der Elbe zurückzuführen. In den neuen Bundesländern gab es 1996 mehr als 3.000 Storchenpaare! Tatsächlich zeigt ein Blick auf die aktuellen Weißstorch-Bestandskarten des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie: Die Flußlandschaften entlang der Elbe sind die letzten großen Rückzugsgebiete für Niedersachsens Störche. Nirgendwo sonst zieht Adebar soviele Junge groß.
Lediglich in der Allerniederung konnte der Weißstorch weitere nennenswerte Bruterfolge erzielen. Dies nicht zuletzt aufgrund des niedersächsischen Weißstorch-Programms: Seit 1989 sind rund 15 Millionen Mark in Flächenaufkäufe, Bewirtschaftungsverträge und Rückbaumaßnahmen entlang von Aller und Elbe investiert worden. Eine echte Trendwende in der Bestandsentwicklung des Weißstorches ist in Niedersachsen noch nicht in Sicht.
Dr. Reinhard Löhmer
BUND-Vorstandsmitglied
Weißstorchbetreuer für die Staatliche Vogelschutzwarte Niedersachsen