Umfragen beweisen es immer wieder: Die Mehrheit der VerbraucherInnen will keine gentechnisch veränderte Kost auf dem Teller haben. Trotzdem wehren sich Lebensmittelkonzerne und Politiker, dem Wunsch der VerbraucherInnen nach gentechnikfreier Ernährung und nach einer entsprechenden Lebensmittelkennzeichnung nachzukommen.
Derweil in Brüssel noch immer an der heftig umkämpften EU-Verordnung zum sogenannten Novel-Food gebastelt wird, hält die Gentechnik ungebrochen Einzug in die Landwirtschaft, in die Lebensmittelverarbeitung - und in die Regale der Supermärkte, wo gentechnikfreie und gentechnisch manipulierte Lebensmittel bis heute nicht voneinander zu unterscheiden sind. So bleibt der Verbraucherin nicht selten nur der ungewollte Griff zum "Genprodukt", sei es die Schokolade mit Lecithin aus Gensoja oder der Käse, der mit Hilfe von gentechnischem Labferment hergestellt wird. Die Profiteure dieses Kennzeichnungs-Desasters sind vor allem die internationalen Agrar-, Chemie- und Lebensmittelkonzerne, die "am Verbraucher" vorbei ihre umstrittenen Produkte auf dem Markt etablieren wollen.
Nun kommt Bewegung in die nationale Kennzeichnungsdebatte:
Neben Bayern ist Niedersachsen das zweite Bundesland, in dem ein Volksbegehren zur positiven Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel gestartet worden ist. Zu den Initiatoren des Volksbegehrens (s. Kasten) zählt auch der BUND Landesverband Niedersachsen, der mit der 48jährigen Johanne Sailer aus dem Landkreis Nienburg eine erfahrene Gentechnik-Kritikerin für den landesweiten Kampf um Unterschriften gewonnen hat. Johanne Sailer arbeitet zur Zeit in der BUND-Landesgeschäftsstelle in Hannover. Zum Stand und zu den Hintergründen des niedersächsischen Volksbegehrens befragte sie Sabine Littkemann.
BUNDmagazin (Bm): Warum das Volksbegehren "Gentechnikfrei aus Niedersachsen"? Reicht nicht die für das Frühjahr geplante Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union?
Sailer: Es ist richtig, daß die Novel-Food-Verordnung die Kennzeichnung aller neuartigen Lebensmittel verlangt, wenn sich diese wissenschaftlich nachweisbar von herkömmlichen Lebensmitteln unterscheiden. Das klingt einfach, doch bis heute weiß niemand genau, was und wie etikettiert werden soll und welche Nachweismethoden anzuwenden sind. Die Umsetzung der Verordnung ist auf den Sommer dieses Jahres verschoben worden. Aber auch dann werden voraussichtlich rund 80 Prozent der Lebensmittel, bei deren Herstellung gentechnische Methoden eingesetzt worden sind, nicht gekennzeichnet. So sind beispielsweise Zusatzstoffe, Aromen, Enzyme und Extraktionslösungsmittel ausdrücklich von der Verordnung ausgenommen.
Bm: Was kann das Siegel "Gentechnikfrei aus Niedersachsen" garantieren?
Sailer: Das Gütesiegel "Gentechnikfrei aus Niedersachsen" soll für Lebensmittel verliehen werden, deren Hersteller nachweisen können, daß auf allen Produktionsstufen auf den Einsatz von Gentechnik verzichtet wurde. Die Kriterien hierfür sind in dem Gesetzesentwurf genau genannt und werden bei der Verleihung des Gütesiegels überprüft. Gleichwohl kann auch das Gütesiegel nicht immer ausschließen, daß "ohne Verschulden des Herstellers" "Fremdgene" in das Produkt geraten - auch ein Biobauer lebt nicht in einer hermetisch abgeriegelten Welt. Hier darf das Gesetz nicht zu unzumutbaren Härten führen. Entscheidend ist für uns die klare gentechnikfreie Produktlinie, der sich die Hersteller verpflichten. Je mehr sich daran beteiligen, um so weniger Chancen hat die Gentechnik insgesamt in der Lebensmittelbranche. Und natürlich schafft das Gütesiegel eine verbrauchergerechte Situation, in der die Konsumenten sich frei entscheiden können für solche Lebensmittel, die ihren Vorstellungen entsprechen bzw. solche meiden können, die sie aus medizinischen, ethischen oder sonstigen Gründen ablehnen.
Bm: Wer soll die Lizenzvergabe prüfen?
Sailer: Das Land Niedersachsen soll über das Landwirtschaftsministerium das Gütesiegel vergeben und die nötigen Uberprüfungen durchführen. Das heißt, es überwacht sowohl die Beliehenen als auch die Kennzeichnungs-
berechtigten und die gekennzeichneten Produkte.
Bm: Wie ist die Resonanz auf das Volksbegehren? Ist die Zahl der seit Dezember 97 gesammelten Unterschriften schon abzuschätzen?
Sailer: In den ersten vier Wochen des Volksbegehrens haben wir trotz der Weihnachtsfeiertage 20.000 Unterschriftenbögen verschickt. Allerdings ist die Zahl der seit Anfang Dezember 1997 gesammelten Unterschriften zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen. Mitte Februar werden wir vom Landeswahlleiter zum ersten Mal die Zahl der gültigen Unterschriften erfahren.
Bm: Wie geht es weiter in den nächsten Monaten?
Sailer: In den nächsten Monaten werden wir weitere Multiplikatoren und auch Sponsoren suchen. Wir gehen davon aus, daß wir im Frühjahr die erforderliche Zahl von Unterschriften zusammen haben (25.000, s. Kasten) und den Antrag für das Volksbegehren stellen können. Bis zum Herbst dieses Jahres müssen wir dann etwa 630.000 Unterschriften sammeln, das wird noch einmal unseren vollen Einsatz erfordern. Ich betrachte das Volksbegehren auch als eine Möglichkeit, für den BUND wieder "auf die Straße" zu gehen und durch medienwirksame Aktionen im positiven Sinne von uns reden zu machen. Wer uns dabei unterstützen möchte, sei hiermit herzlich aufgerufen, das zu tun!
(sl)
Nähere Informationen sowie Unterschriftenlisten sind erhältlich bei der Koordinationsstelle Volksbegehren Gentechnikfrei aus Niedersachsen,
Goebenstr. 3a, 30161 Hannover,
Tel: 0511/394 34-44/46,
Fax: 0511/394 34 45 .
Stichwort Volksbegehren
Volksbegehren sind in Deutschland zur Zeit nur auf Länderebene möglich und werden von entsprechenden Landesgesetzen geregelt: in Niedersachsen vom Volksabstimmungsgesetz von 1994. Die Vertreter des Volksbegehrens müssen dazu eine Gesetzesvorlage und eine Unterschriftenliste beim Landeswahlleiter einreichen. Danach müssen in einer Startphase 25.000 Unterschriften innerhalb von höchstens sechs Monaten gesammelt werden, um den eigentlichen Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens stellen zu können. Ist diese Startphase erfolgreich verlaufen und der Antrag vom Land genehmigt, geht es in die zweite und entscheidende Runde des Volksbegehrens: Innerhalb von weiteren sechs Monaten müssen mindestens zehn Prozent aller wahlberechtigten Niedersachsen, also rund 630.000 BürgerInnen, auf einer der Unterschriftenlisten unterschreiben. Dabei werden die in der ersten Phase gesammelten Unterschriften bereits angerechnet. Ist auch diese zweite Unterschriftenrunde erfolgreichverlaufen, muß die Landesregierung zum Gesetzentwurf Stellung nehmen und ihn in den Niedersächsischen Landtag einreichen.
Initiativkreis "Gentechnikfrei aus Niedersachsen"
Auf den Weg gebracht wurde das Volksbegehren zur Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel vom Initiativkreis "Gentechnikfrei aus Niedersachsen", einem Zusammenschluß von Umwelt- und Landwirtschaftsverbänden, Studentenwerken, Kirchenvertretern, Landespolitikern, GewerkschaftlerInnen und UnternehmerInnen. Die Initiatoren haben für das Volksbegehren einen entsprechenden Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der die positive Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebens- und Futtermitteln sowie von Saatgut aus Niedersachsen regelt. Das amtlich anerkannte und geprüfte Gütesiegel soll freiwillig und auf Antrag vergeben werden. Verbraucher erhalten so die Möglichkeit, zwischen gentechnisch veränderten und gentechnikfreien Lebensmitteln zu wählen. Außerdem erhofft sich das Aktionsbündnis, mit dem Volksbegehren ein deutliches politisches Signal für mehr Verbraucherschutz und für eine gesunde und ökologische Lebensmittelproduktion nach Bonn und Brüssel zu senden.