2. März 2006
Atomausstieg jetzt! - Warum es auch 20 Jahre nach Tschernobyl keine Gründe gibt, davon abzurücken
von Renate Backhaus
Bis zum 26. April 1986 war Tschernobyl weit entfernt. Auch als die Explosion des Reaktors nördlich von Kiew bei uns bekannt wurde, rechneten offizielle Stellen nicht damit, dass sich die radioaktive Wolke so weit ausbreiten würde. Der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann betonte noch drei Tage nach der Explosion: "Eine Gefährdung der deutschen Bevölkerung ist ausgeschlossen." Tschernobyl sei 1.800 Kilometer entfernt.
Das alles ist lange her. Trotzdem: Es ist nicht nur absurd, sondern ein Hohn für die vielen Opfer, wenn jetzt wieder PolitikerInnen in Deutschland und anderen europäischen Ländern für längere Laufzeiten plädieren oder gar den Neubau von Atomkraftwerken fordern. Die Atomkraft war und ist ein unkalkulierbares Risiko und wird es immer bleiben. Der sofortige Ausstieg muss deshalb das Ziel jeder humanen Umweltpolitik sein.
So sahen es auch lange Bündnis 90/Die Grünen. Die Hoffnung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), unter Rot-Grün würde sich in der Atompolitik - auch im Rückblick auf Tschernobyl - Entscheidendes ändern, wurde enttäuscht. Der sogenannte Atomkonsens wurde uns als Atomausstieg verkauft. In Wirklichkeit war er eine Bestandsgarantie für die Atomkraftwerksbetreiber.
Schon beim Abschluss der Vereinbarung hat der BUND darauf aufmerksam gemacht, dass es eine wirkliche Energiewende nur gibt, wenn Fakten geschaffen, das heißt, Atomkraftwerke abgestellt werden. Jetzt hat die große Koalition die Möglichkeit, durch Tausch von Strommengen allen vier in dieser Legislaturperiode eigentlich stillzulegenden Atomkraftwerken über die Runden zu helfen.
Dabei hatte die ehemalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) im Atomgesetz festgeschrieben, dass bei einem Reaktor-Unfall die Folgen auf die Anlage begrenzt bleiben müssen. Keine Anlage in Deutschland erfüllt diese Vorgaben. Das bedeutet, alle Anlagen müssten sofort stillgelegt werden. Aber aus der CDU kommen die Forderungen nach einer Verlängerung der Laufzeiten.
Die aber sind für Deutschland energiepolitisch kontraproduktiv. Sie schieben die nötige Energiewende hin zu Erneuerbaren Energien und zu mehr Effizienz weiter hinaus. Längere Laufzeiten verschärfen zudem das ungelöste Problem der sogenannten Entsorgung . Bis heute gibt es keinen Standort in Deutschland, der eine Endlagerung - so sicher wie möglich- zulässt. Gorleben ist nie nach Sicherheitskriterien ausgesucht worden, sondern war eine politische Entscheidung. Die große Koalition verdrängt diese Tatsache, Rot-Grün hat versäumt, eine verantwortbare Lösung auf den Weg zu bringen.
Die deutsche Atomindustrie hat in den letzten Jahrzehnten massiv Arbeitsplätze abgebaut. Tausende neuer Jobs gäbe es aber beispielsweise bei der Wärmedämmung im Baugewerbe. Die Erneuerbaren Energien stellen bereits jetzt 140.000 Arbeitsplätze bereit, Tendenz stark steigend.
Nicht erst das Beispiel Iran zeigt, dass zivile und militärische Nutzung der Atomenergie nicht zu trennen sind. Der Export und die weitere Verbreitung von Atomtechnologie erhöht das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen. Dazu kommt: Terroristen können an jedem Atomstandort in Deutschland einen Super-GAU auslösen. Dies alles zeigt: 20 Jahre nach Tschernobyl gibt es keinen Grund, von einer Forderung nach einem Sofortausstieg abzurücken.
Renate Backhaus ist Atomexpertin im Bundesvorstand des BUND. Von 1984 bis 2000 gehörte sie den GRÜNEN an, unter anderem als Mitglied des Bundesvorstands.