8. August 2008
Stilllegung und Schließung des Atommüllendlagers Asse II
Positionen und Forderungen des BUND Landesverbandes Niedersachsen e.V.
Stand 8. August 2008
Chronologie des Desasters
In der globalen und der nationalen Diskussion um die Kernenergie ist die zentrale – und vor allem ungelöste - Frage jene der Entsorgung des atomaren Mülls. Unsere Generation steht vor der Notwendigkeit und in der Verantwortung, Lösungen für die endgültige Lagerung der über Jahrtausende strahlenden Abfälle zu finden. Gorleben, Morsleben, Schacht Konrad und Asse – das sind Namen, die auftauchen, wenn es um die (End-)Lagerung von radioaktiven Abfällen in Deutschland geht. Außer bei Morsleben handelt es sich um Standorte in Niedersachsen. Die Asse ist einer von ihnen.
Das Helmholtz-Zentrum München (HZM) [vordem: Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF)] betreibt die Schachtanlage II des Salzbergwerkes Asse bei Wolfenbüttel (Asse II) seit 1965 als „Untertagelabor“. Die offizielle Position lautet, die „umfangreichen Forschungsarbeiten“ in dem ehemaligen Salzbergwerk dienten der „Entwicklung und Erprobung“ von Alternativen für Endlagerkonzepte für radioaktive Abfälle und der Entwicklung von „Techniken zur Handhabung, Behandlung und Einlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle“. Von 1967 bis 1978 wurden in der Asse rund 126.000 Fässer mittel- und schwach radioaktiver Atommüll eingelagert.
Fragt man heute nach den Forschungsinhalten und –ergebnissen, erhält man allerdings nur sehr zögerliche und nur sehr wenig befriedigende Antworten.
Es sollen sogar ältere Unterlagen und Anträge vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die Einlagerung von Abfällen teilweise von Anfang an zum dauerhaften Verbleib erfolgt ist – also zur Endlagerung.
Bereits seit 1988 ist bekannt, dass täglich etwa 12.000 Liter gesättigte Salzlösung („Lauge“) aus dem Grundwasser des Deckgebirges in das Grubengebäude eindringen. Das Bergwerk mit dem Atommüll droht „abzusaufen“. Dringt die Salzlösung in die Einlagerungskammern, dann wäre als Folge der Konvergenz (Zusammendrücken der Hohlräume durch die Gebirgslast) eine Kontamination des Grundwassers mit Radionukliden langfristig nicht zu verhindern. Das Gleiche gilt für die Flutung der Resthohlräume mit einem so genannten Schutzfluid.
Mensch und Umwelt sind demnach durch die in der Asse lagernden atomaren Abfälle bedroht, vor allem, wenn es bei den Prognosen bleibt, die eine Standfestigkeit des Grubengebäudes nur bis etwa 2014 vorhersagen.
Die aktuelle Diskussion wird vom Auftreten kontaminierter Laugen bestimmt.
In der Asse geht es um zwei verschiedene Arten von Laugen - aktuell gebildete durch aus dem Deckgebirge zutretendes Wasser sowie alte Laugen. Nach Angaben des HZM aus Juni 2008 wird das Auftreten kontaminierter Laugen vor Kammer 6 und 12 eingeräumt, deren spezifische Aktivitäten die Freigrenze der Strahlenschutzverordnung im Falle von Cäsium-137 zwischen dem drei- bis achtfachen überschreiten.
Nach Bergrecht - und nicht nach Atomrecht - genehmigte am 6. März 2008 das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, das der Fachaufsicht des Niedersächsischen Umweltministeriums untersteht, die „Umlagerung von kontaminierter Salzlösung und Materialien in den Tiefenaufschluss“ der Asse. Das bedeutet die nicht rückholbare Endlagerung kontaminierter Abfälle. Rechtswidrig? Ein Endlager für radioaktive Abfälle – und auch der Betreiber stellt in seinen Pressemitteilungen fest, dass eine Rückholung der Abfälle nie geplant gewesen sei – bedarf einer atomrechtlichen und einer bergrechtlichen Zulassung. Nuklearspezifische Risiken zum sicheren Einschluss radioaktiver Abfälle sind im atomrechtlichen und bergwerkstypische im bergrechtlichen Verfahren zu prüfen. Das ist Stand der Technik und wird beim bestehenden Endlager Morsleben und im Fall des geplanten Endlagers Schacht Konrad praktiziert. Zum atomrechtlich planfeststellungspflichtigen Betrieb gehört nicht nur die Einlagerung des Abfalls, sondern auch die Verfüllung. Nur für die Asse meint man seit Ende der 70er Jahre, ohne atomrechtliches Verfahren auszukommen. Zudem fehlt eine Genehmigung nach Strahlenschutzverordnung für den Umgang mit radioaktiv kontaminierter Lauge.
Am 10. Juni 2008 griff die Braunschweiger Zeitung, am 12. Juni die Hannoversche Allgemeine Zeitung das Thema der radioaktiv kontaminierten Lauge auf, am 16. Juni 2008 und 8. Juli 2008 tagte der Umweltausschuss des Niedersächsischen Landtages zum Thema. Seither vergeht keine Woche, in der nicht neue, oder den vorher genannten widersprechende, Fakten auftauchen.
Was passiert? Was ist zu tun?
Das an der Südflanke des maroden Bergwerks hereindrückende Nebengebirge erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Salzwasserzulauf in die Stollen und Einlagerungskammern ausweitet, die über viele Jahre als sichere und vor allem trockene Endlagerstätten angepriesen worden waren. Eine zügige Sanierung und sichere Stilllegung des Endlager-Bergwerks ist dringend geboten.
Das mit der Schließung von Asse II beauftragte HZM hat ein Schließungskonzept vorgelegt, das den Versatz und die anschließende Flutung des Bergwerks mit einer gesättigten, magnesiumchloridreichen Lösung vorsieht. Nach Erkenntnissen des BUND ist die Flutung ein ungeeignetes Mittel, um die Radioaktivität langfristig von der Biosphäre abzuschirmen, weil die Korrosion von Fässern und der Eintritt kontaminierter Flüssigkeiten in Grundwasser führende Schichten nicht zu verhindern wäre, radioaktive Stoffe in Lösung gehen würden. Weitere Optionen wurden vom Betreiber bislang offensichtlich nicht hinreichend geprüft.
Oberste Priorität hat nach Auffassung des BUND der Schutz von Mensch und Umwelt. Alle Maßnahmen, die zur Verringerung des kurz-, mittel- und langfristigen Strahlenrisikos beitragen und im Rahmen der geltenden Strahlenschutzverordnung möglich sind, sind umgehend zu ergreifen! Von zentraler Bedeutung für den BUND ist, dass technisch-logistische Optionen entwickelt und verglichen werden, die Mensch und Natur auch nachfolgender Generationen vor den Abfällen schützen, die man nun über Jahrzehnte unter Tage gebracht hat.
Ziel ist die Wahl der besten Lösung, die sich nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik vor dem Hintergrund des Gefahrenpotenzials und des zu vermutenden Zeitdruckes anbietet.
Finanzieller Aufwand muss dabei hinter den Schutzansprüchen der Menschen zurückstehen!
Der BUND unterstützt den im Januar 2008 begonnenen Begleitprozess zur Schließung von Asse II ausdrücklich. Die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Umweltverbände in der Begleitgruppe sowie die Einrichtung der Arbeitsgruppe Optionenvergleich (AGO) sind eine Chance, die Anliegen der Öffentlichkeit im Schließungsverfahren angemessen zu berücksichtigen und Gefahren für Mensch und Umwelt soweit möglich zu minimieren.
Der Streit um die Zuständigkeiten zwischen den am aktuellen Verfahren beteiligten Ministerien (BMBF, BMU, NMU) muss zugunsten des BMU als oberster Atomaufsichtsbehörde geregelt werden. Das Niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hat als Aufsichtsbehörde versagt und ist weder in dieser Funktion noch als Genehmigungsbehörde länger tragbar.
Der BUND fordert daher:
Unverzüglich zu klären, welche Abfälle in der Asse tatsächlich
eingelagert wurden und wie hoch die radioaktive Belastung ist.
Alle Arbeiten und Maßnahmen einzustellen, die der Realisierung der bestmöglichen Option zur Stilllegung und / oder Schließung
des Bergwerks im Wege stehen könnten.
Schnellstmöglich weitere Optionen und Alternativen zu suchen,
das strahlende Material möglichst dauerhaft und sicher zu beseitigen.
Weiterführung des Stilllegungsverfahrens nach Atomrecht
unter der Aufsicht des Bundes.
Richtige Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.
Zu 1. In der Asse treten stellenweise letztlich nicht schlüssig zuzuordnende Strahlenbelastungen in den austretenden Laugen auf. Außerdem legen Aktenfunde nahe, dass eingelagerte Abfälle unzureichend oder falsch deklariert waren. Da das de facto eingelagerte Material die Grundlage für die Entwicklung und Auswahl der geeigneten Stilllegungsoption ist, ergibt sich die Notwendigkeit, sich wegen der aufgetretenen Zweifel Klarheit zu verschaffen.
Der BUND fordert daher, aus geeigneten Kammern (z.B. Kammer 4 und 12) eine begrenzte Zahl von Fässern oder Material – je nach Zustand der Müllfracht - als Stichprobe zu entnehmen und zu untersuchen. Die Ergebnisse sind mit dem beauftragten Statusbericht der eingelagerten Stoffe abzugleichen. Bei relevanten Abweichungen sind ggf. weitere Proben zu entnehmen.
Zu 2. Die Schachtanlage ist instabil, mittelfristig von Wassereinbrüchen und vom Einsturz bedroht. Daher sind schnellstmöglich Maßnahmen zur Stabilisierung zu ergreifen.
Aufgrund der Notwendigkeit, sich über die eingebrachten Stoffe und ihr Gefahrenpotenzial Klarheit zu verschaffen, dürfen derzeit jedoch nur solche Stabilisierungsmaßnahmen durchgeführt werden, die keine der denkbaren Endlagerungsoptionen verhindern oder wesentlich erschweren.
Zu 3. Das derzeit vom HZM verfolgte Stilllegungskonzept (Schutzfluid-Konzept) ist wegen diverser nicht behebbarer Mängel nicht geeignet, die radioaktiven Abfälle langzeitsicher von der Biosphäre abzuschirmen. Durch kurzfristig vorgezogene Maßnahmen dürfen keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Alle alternativen Stilllegungsoptionen müssen ernsthaft und unvoreingenommen betrachtet und bewertet werden. Erfolg versprechende Optionen sind so schnell wie möglich durch ingenieurmäßige Planungen und Begleituntersuchungen zu konkretisieren. Erst dann lässt sich ein abschließender Vergleich verschiedener Optionen durchführen.
Neben dem Schutzfluid-Konzept liegen nach Informationen des BUND beispielsweise Überlegungen neueren Datums von externen Experten für eine trockene Verwahrung vor, die als technische Maßnahmen einen Abbau der Gebirgsspannungen durch geeignete Auffahrungen, eine Aussteifung des Blasversatzes in den Steinsalzabbauen durch Injektionsmaßnahmen, die vollständige Verfüllung aller Hohlräume mit Sorel-Beton, eine Abdichtung des Nebengebirges mit Bitumeninjektionen und die Zurückdrängung von Grundwasser durch eine kontrollierte Druckluftfüllung des Versatzporenraumes möglich erscheinen lassen. Zusätzliche Abdichtungsmaßnahmen durch Bohrungen von Übertage im Bereich des Salzhanges sind denkbar. Eine Rückholung der MAW wird dort empfohlen.
Das HMZ hat einen Plan zur Schließung der Asse entwickelt, dessen Tauglichkeit hinsichtlich der Langzeitsicherheit vom BUND in Teilen erheblich in Zweifel gezogen wird. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand ist die vorgesehene Flutung keine Alternative, die auch nur annähernd ausreichende Langzeitsicherheit gewährleisten kann. Es gibt zudem Verdachtsmomente, die nahe legen zu vermuten, dass die Flutung die Gefährdung langfristig sogar erhöht.
Die Arbeitsgruppe Optionenvergleich hat die Aufgabe, verschiedene Optionen zu Schließung vergleichend zu bewerten. Ihr liegen jedoch offensichtlich gar keine unterschiedlichen Optionen zur Überprüfung vor. Nach Informationen des BUND hat das HZM auch niemals ernsthaft andere Optionen entwickelt und verglichen – dies ist schnellstmöglich zu ändern.
Der BUND fordert daher, dass umgehend geeignete Institutionen beauftragt werden, alternative Optionen für den Umgang mit den eingelagerten Stoffen zu entwickeln und zu bewerten – einschließlich der Option, die Abfälle ganz oder teilweise wieder zu bergen und anderweitig sicher(er) zu entsorgen. Geprüft werden sollen aber auch Optionen, die Abfälle unter Tage zu belassen und die Wassereinbrüche zu stoppen.
Beim Optionenvergleich sind die Belange der Langzeitsicherheit, der Umweltverträglichkeit, aber auch des Arbeitsschutzes gleichrangig zu berücksichtigen; dies, falls Maßnahmen nur durch Einsatz von Menscher unter Tage zu realisieren wären.
Zu 4. Alleine die Überschreitungen der Strahlungs-Grenzwerte der Cäsiumbelastung der austretenden Laugen um das Drei- und Acht- bis Elffache gebietet, das weitere Schließungsverfahren nach Atomrecht weiter zu führen und zu Ende zu bringen.
Die vorliegenden Indizien und Hinweise, dass falsch deklariertes Material eingelagert wurde, das einer atomrechtlichen Bewilligung bedurft hätte und der faktische Betrieb eines Endlagers sprechen ebenfalls für ein atomrechtliches Verfahren. Die dann zuständigen Behörden des Bundes sind erfahren, jetzt schon beteiligt und in soweit auf die Übernahme des Verfahrens vorbereitet, so dass zu vermuten ist, dass es nicht zu nennenswerten Verzögerungen kommen wird.
Der BUND fordert, die Schließung nach Atomrecht statt nach Bergrecht durchzuführen, mit Umweltverträglichkeitsprüfung, mit der gebotenen Öffentlichkeits- und Verbändebeteiligung und lässt derzeit prüfen, ob die Änderung der Rechtsmaterie ggf. durch Klage angestrebt wird.
Zu 5. Richtige Schlüsse für die Zukunft
Aus dem Fiasko von Asse II zieht der BUND allerdings jetzt schon einige Schlussfolgerungen für die Zukunft, für die Abwicklung andere Zwischen- und Endlager sowie für die gesamte Diskussion um die zivile Nutzung der Kernenergie:
Alle Verfahren zur Suche und Prüfung geplanter Endlager müssen ergebnisoffen unter Einbeziehung aller möglicher Weise geeigneten Optionen transparent für die Öffentlichkeit und unter Mitwirkung der Umwelt- und Naturschutzverbände geführt werden.
Die Institutionen, denen der Betrieb und die Verfahrensabwicklung übertragen werden, sind auf ihre Zuverlässigkeit hin zu prüfen, aktiv behördlich zu begleiten und zur Transparenz zu verpflichten.
Die zivile Nutzung der Kernenergie, die Verlängerung der Laufzeiten der AKW oder gar der Neubau von Anlagen – mit der Konsequenz noch mehr Atommüll zu produzieren - sind vor dem Hintergrund des Fiaskos der geplanten sicheren Beseitigung von mittel- und schwach radioaktiven Abfällen in Asse II derzeit nicht zu verantworten.