13. Dezember 2012

Schlechte Standards für Wald-Naturerbe - BUND sieht in geplantem Vorschriftenpaket zu Wäldern Rechtsbruch, Schaden für die Natur und Steuerverschwendung

Waldweg. Foto: Ruth Paschka

Die Bewirtschaftung in allen niedersächsischen Wäldern, die Teil des europäischen Schutzgebietssystems „Natura 2000“ sind, soll bis zum Jahresende durch eine neue Verordnung, drei neue Erlasse sowie die Änderung weiterer Vorschriften und fachlicher Handreichungen völlig neu geregelt werden. Der BUND bewertet das geplante Regelungspaket äußerst kritisch.


Dr. Marita Wudtke, Leiterin Naturschutz/Umweltpolitik des BUND Niedersachsen erklärt dazu: „Die Landesregierung versucht offenbar noch vor der Landtagswahl im Januar 2013 mit hohem Tempo einen einheitlichen Standard für den Naturschutz im Wald durchzusetzen. Leider einen einheitlich schlechten. Damit soll der konsequente Schutz des Naturerbes in unseren Wäldern auf Dauer verhindert werden.“


In einem Schutzverordnungs-Erlass will die Regierung den Naturschutzbehörden in Zukunft akribisch vorschreiben, was in den nach europäischem Recht geschützten Wäldern in Zukunft erlaubt oder verboten ist. Geregelt wird auch, dass private Waldbesitzer für Einschränkungen bei der Waldbewirtschaftung aufgrund naturschutzfachlicher Schutzziele einen finanziellen Ausgleich erhalten. Diesen so genannten Erschwernisausgleich bewertet der BUND grundsätzlich positiv, in der konkret geplanten Umsetzung sieht der BUND aber ehebliche Defizite. Dazu Wudtke: „Völlig unzureichend sind die Regeln, die zukünftig in Naturschutzgebieten gelten sollen. Zum Beispiel dürfen durch Holzeinschläge wertvolle alte Baumbestände drastisch reduziert werden. Meist muss nur ein Anteil von 20 Prozent etwas älterer Bäume stehen bleiben (vorhandenes oder auch nur sich erst entwickelndes Altholz). Auf Dauer nicht gefällt werden dürfen im Normalfall lediglich drei Bäume pro Hektar. Das ist völlig unzureichend.“ Wudtke weiter: „Ein anderes Beispiel ist der Umgang mit nichtheimischen Gehölzen. Selbst in den wertvollsten geschützten Wäldern, die ausschließlich aus den natürlicher Weise hier vorkommenden Arten bestehen, sollen in Zukunft bis zu einem Anteil von 20 Prozent Exoten, zum Beispiele Douglasien gepflanzt werden dürfen. Dadurch leidet ganz erheblich die Naturnähe.“


Im Ergebnis bedeuten die neuen Vorschriften, dass die Eigentümer den Zustand in den geschützten Wäldern deutlich verschlechtern dürfen und trotzdem dafür mit Steuermitteln finanziell belohnt werden. Nach Ansicht des BUND ist dies nicht nur Steuerverschwendung, sondern auch ein klarer Verstoß gegen europäisches und deutsches Naturschutzrecht. Auf der anderen Seite soll es für Waldbesitzer praktisch keine zusätzlichen Vorgaben geben, die geschützten Wälder ökologisch zu verbessern. Wer in seinem Wald überhaupt keine Bäume mehr fällt und ihn ganz der Natur überlässt, ist sogar von allen Ausgleichszahlungen ausgeschlossen. Wudtke: „Waldeigentümer, die sich am vorbildlichsten verhalten, würden damit nicht unterstützt, sondern deutlich benachteiligt.“


Besonders erschreckend ist für den BUND, dass die völlig unzureichenden Vorgaben für die Behandlung der Natura2000-Wälder ausdrücklich auch für die Landesforsten gelten sollen.

Erklärtes Ziel der neuen Vorschriften ist die „Eins-zu-Eins-Umsetzung“ der europäischen Naturschutzvorgaben. Damit soll es nach dem Willen des Landes nur gerade so viel Naturschutz geben, dass Brüssel kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Niedersachsen einleitet. Nach Überzeugung des BUND wird aber selbst dieses Minimalziel nicht erreicht, sondern in krasser Weise gegen europäisches und deutsches Naturschutzrecht verstoßen.


Rückfragen zum Thema an:

Dr. Marita Wudtke

Leiterin für Naturschutz/Umweltpolitik

BUND Landesverband Niedersachsen

Tel. (0511) 96 56 9 -18 oder 0160 46 16 570

E-Mail: Marita.Wudtke@bund.net




Hintergrund:

Geplante neue Vorschriften

Das Land bereitet derzeit folgende neue Vorschriften vor:

  • „Verordnung über den Erschwernisausgleich für Wald in geschützten Teilen von Natur und Landschaft in Natura 2000-Gebieten“ (Erschwernisausgleichsverordnung-Wald - EA-VO-Wald)
  • Gemeinsamer Runderlass d. ML und MU „Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung“
  • Gemeinsamer Runderlass d. ML und MU „Schutz, Pflege und Entwicklung von Natura 2000-Gebieten im Landeswald“
  • Erlass d. MU „Vorkaufsrecht gemäß § 66 BNatSchG i.V.m. § 40 NAGBNatSchG“

Weitere Vorschriften wie der „LÖWE-Erlass“ (Runderlass d. ML „Langfristige, ökologische Waldentwicklung in den Niedersächsischen Landesforsten“) und Handreichungen wie u.a. die „Vollzugshinweise“ (fachliche Hinweise zum Schutz bestimmter Arten und Lebensräume) des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz sollen an diese Vorgaben angepasst werden.

Natura 2000

„Natura 2000“ ist die Bezeichnung für ein europaweites Schutzgebietsnetz, zu dessen Ausweisung die EU-Mitgliedsländer sich mit der FFH-Richtlinie von 1992 und der Vogelschutz-Richtlinie von 1979 verpflichtet haben. „FFH“ steht für „Fauna-Flora-Habitat“. Natura-2000-Gebiete machen in Niedersachsen 10,5 Prozent der Landfläche aus. Ein großer Teil davon sind Wälder.


Schutzgebietsausweisung

FFH-Gebiete müssen laut FFH-Richtlinie als Schutzgebiete ausgewiesen werden, und zwar so schnell wie möglich, spätestens aber 6 Jahre nach der Gebietsmeldung durch das Land und ihrer Anerkennung durch die EU-Kommission. Soweit schon Schutzverordnungen vorhanden sind, müssen sie den Anforderungen der Richtlinie entsprechen oder überarbeitet werden. Da Niedersachsen erst sehr verspätet und nur nach wiederholten Verurteilungen der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof genug Gebiete gemeldet hatte (Frist war bis 1995, ein Großteil der Meldungen erfolgte aber erst 2006), hat auch die Frist zur Schutzgebietsausweisung verspätet zu laufen begonnen. Ein Teil der Schutzgebiete hätte bis Dezember 2010 ausgewiesen werden müssen, der Rest der Ausweisungen muss bis spätestens November 2013 erfolgen. In einem Großteil der FFH-Gebiete hat das Schutzausweisungsverfahren noch nicht einmal begonnen; deshalb wird auch die Frist November 2013 kaum einzuhalten sein.

Einen wesentlichen Teil der Verantwortung für die rechtswidrige Verschleppung der Schutzgebietsausweisungen trägt das Land, das bis zur Verwaltungsreform direkt für die Ausweisungen zuständig war. Insbesondere in den Privatwäldern hatte das Umweltministerium in eigener Zuständigkeit auf die Ausweisung von Schutzgebieten insbesondere in Natura-2000-Privatwäldern mit dem Verweis auf den angeblich wirksamen Vertragsnaturschutz verzichtet, obwohl schon damals offensichtlich war, dass die dafür eingeplanten Mittel völlig unzureichend waren. Der Misserfolg dieses Instrumentes wird von der Landesregierung inzwischen offen eingeräumt. Auch nachdem das Land 2008 die Verantwortung für die Schutzgebietsausweisung für Natura-2000-Gebiete auf die Landkreise und Städte übertragen hatte, forderte das Umweltministerium, Landschaftsschutzgebiete als sogenanntes „mildestes Mittel“ zu wählen und Naturschutzgebiete nur in Ausnahmefällen auszuweisen. Nach dem jetzt vom Land vorgelegten Entwurf einer „Erschwernisausgleichsverordnung Wald“ werden aber ausschließlich in Naturschutzgebieten Ausgleichszahlungen gewährt. Naturschutzbehörden, die den Vorgaben des Umweltministeriums gefolgt sind, müssen jetzt ihre mit großem Aufwand aufgestellten Landschaftsschutzgebiets-Verordnungen verwerfen und mit der Schutzgebietsausweisung neu beginnen.


Günstiger Erhaltungszustand

Nach der FFH-Richtlinie müssen die Mitgliedsländer mit dem Natura-2000-Schutzgebietsnetz „den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes“ der durch die Richtlinie geschützten Lebensräume und Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten. Die niedersächsischen Wälder sind aber von einem günstigen Zustand weit entfernt. In zweiten Nationalen FFH-Bericht 2007, einer Zwischenbilanz, die alle sechs Jahre an die EU-Kommission übermittelt werden muss, ist zutreffend ein unzureichender oder schlechter Erhaltungszustand nahezu aller nach der FFH-Richtlinie geschützten Wald-Lebensräume und -Arten festgestellt worden. Es reicht deshalb nicht, den Zustand der Natur in den FFH-Gebieten nur auf dem gegenwärtigen Stand zu lassen, sondern es müssen erhebliche Anstrengungen werden, ihn zu verbessern.

Diese Anforderung erfüllen die geplanten neuen Vorschriften in keiner Weise. Um Erschwernisausgleich zu erhalten, müssen nach dem Verordnungsentwurf im Normalfall nur Minimalanforderungen beim Anteil von Altholz, Erhaltung von Höhlen- und Uraltbäumen, Anteil lebensraumtypischer Baumarten sowie Schutz des Waldbodens vor Befahren eingehalten werden, die gerade noch einen guten Zustand gewährleisten sollen. Beispiel Altholzanteil: Nach dem in Niedersachsen gültigen Bewertungsschema ist ein Kriterium für einen „guten“ Erhaltungszustand ein Altholzanteil von 20 bis 35 Prozent und von einem „sehr guten“ Erhaltungszustand ein Altholzanteil über 35 Prozent. Für einen heute als „gut“ eingestuften Wald soll in der Schutzverordnung zukünftig nur verlangt werden können, dass 20 Prozent Altholzanteil vorhanden bleibt. Für die Einhaltung dieser Auflage soll Erschwernisausgleich an die Waldeigentümer gezahlt werden. Es handelt sich dabei aber um eine Anforderung, die nicht nur in FFH-Gebieten, sondern nach dem „Niedersächsischen Gesetz über den Wald und die Landesordnung“ ohnehin in jedem Wald, auch außerhalb der Schutzgebiete, einzuhalten ist. Zur „ordnungsgemäßen Forstwirtschaft“ gehört es danach, dass im ausreichenden Umfang Altholzanteile „zur Sicherung der Lebensräume wild lebender Tiere, Pflanzen und sonstiger Organismen“ erhalten bleiben. Während also letztlich Steuermittel für das bloße Unterlassen von rechtswidrigen Maßnahmen gezahlt werden sollen, sind keine Anreize für anspruchsvollen Naturschutz und Aufwertung der Wälder vorgesehen. Ein Waldbesitzer, der zum Beispiel erheblich mehr als die 20 Prozent Altholz erhält, hätte davon keinen Vorteil. Wenn er die Holznutzung ganz einstellt, was in vielen Fällen das Optimum für den Naturschutz darstellt, ständen ihm nach dem vorliegenden Verordnungsentwurf sogar überhaupt keine Ausgleichszahlungen zu.

Mit den geplanten Vorschriften kann die europarechtlich verlangte positive Entwicklung in den FFH-Gebieten also nicht erreicht werden.


Verschlechterungsverbot

Nach der FFH-Richtlinie gilt für jedes einzelne FFH-Gebiet ein Verschlechterungsverbot. Das bedeutet, dass das Land Maßnahmen ergreifen muss, um eine erhebliche Verschlechterung des Zustands der Lebensräume und Arten, die hier geschützt werden sollen, zu verhindern. Auch diese Anforderung wird durch die geplanten neuen Regelungen verletzt. Beispiel Totholz: Für die Lebensgemeinschaften der Wälder ist es sehr wichtig, dass Bäume so alt werden, bis sie ihren natürlichen Tod sterben und dass sie dann im Wald bleiben, da eine Vielzahl an Arten auf dieses Totholz angewiesen ist. Nach dem niedersächsischen Bewertungsschema müssen für einen guten Erhaltungszustand ein bis drei Totholzbäume pro Hektar im Wald erhalten werden. Nach dem geplanten Erlass zu Schutzverordnungen soll aber landeseinheitlich nur die Erhaltung von einem Totholzbaum pro Hektar vorgeschrieben werden. Das bedeutet, dass dort, wo zum Beispiel schon drei Totholzbäume pro Hektar vorhanden sind, zwei davon entfernt werden dürfen.

Dies wäre aber ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot. Auch bei allen anderen Qualitätskriterien werden in ähnlicher Weise erhebliche Verschlechterungen gegenüber dem Status quo zugelassen. Zu bedenken ist auch, dass in Fällen, in denen die Vorschriften zu einer Verbesserung führen könnten (z.B. in Wäldern mit weniger als einem Totholzbaum pro Hektar), diese Verbesserungen sehr lange Zeit brauchen, während die zugelassenen Verschlechterungen durch forstliche Nutzungen sofort wirksam werden.

Höhere Anforderungen an den Landeswald

Die geplanten neuen Vorschriften zur Umsetzung der Natura-2000-Ziele im Wald haben das Ziel, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen einen „landeseinheitlichen Standard“ zu setzen. Die unzulänglichen Vorgaben für Privatwälder, die insgesamt sogar zu Verschlechterungen des Erhaltungszustands führen können, sollen ausdrücklich auch im Landeswald angewendet werden und Richtschnur der Bewirtschaftung sein. Selbst wenn die Vorgaben für Privatwälder hinreichend wären, dürften sich die Niedersächsischen Landesforsten aber nicht auf das gesetzliche Minimum zurückziehen. Das Land hat auf seinen eigenen Flächen eine Vorbildfunktion und sollte bereits deshalb im Natura-2000-Wald einen möglichst guten Zustand anstreben. Auch pragmatische Gründe sprechen dafür, die Anforderungen der FFH-Richtlinie, die das Land erfüllen muss, möglichst weitgehend im Landeswald zu verwirklichen, da die Umsetzung hier einfacher und auch kostengünstiger ist, als sie im Privatwald wäre. Aus diesem Grund sind als FFH-Gebiete deutlich überproportional landeseigene Flächen gemeldet worden. Vor allem verbietet sich aber auch aus rechtlichen Gründen, dass das Land in seinen eigenen Waldflächen nur den naturschutzrechtlich gerade noch zulässigen Zustand anstrebt. Denn nach dem Bundesnaturschutzgesetz sollen „bei der Bewirtschaftung von Grundflächen im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand (...) die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege in besonderer Weise berücksichtigt werden“.

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1990 dient „die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswaldes (...) der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse.“ Erst recht muss in den landeseigenen Natura-2000-Wäldern das Ziel der Erhaltung und Entwicklung des Naturerbes und nicht die wirtschaftliche Nutzung im Vordergrund stehen.

 

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