2. März 2009

Störche in Gefahr!

Weißstorch

Der Weißstorch

An Sude, Krainke und Rögnitz mit Deichbau Steuergelder versenken? Aus Jahrhunderthochwasser nichts gelernt?

Hannover - Man sollte meinen, dass die Verantwortlichen in Politik und Wasserbauverwaltungen aus dem Jahrhunderthochwasser an der Elbe im Jahr 2002 gelernt hätten. Man sollte meinen, sie würden daher, wenn sie Siedlungen besser sichern wollen, auch daran denken, dass der Fluss Flutraum (Retentionsräume) braucht. Man sollte meinen, dass gute Beispiele wie das Rückdeichungsprojekt in Lenzen/Brandenburg in Zeiten klimatisch gravierender Veränderungen endlich Wirkung zeigen. Man sollte meinen, dass Artenschutz und Biodiversität ganzjährig ein Thema sind - nicht nur zum Tag des Artenschutzes.

Doch bedauerlicherweise scheint das vorbildliche Rückdeichungsprojekt des BUND in Lenzen an der Elbe wenig grenzüberschreitende Wirkung zu entfalten: Nur wenige Kilometer flussabwärts in Amt Neuhaus /Niedersachsen (Landkreis Lüneburg) setzt man erneut auf die Verstärkung der alten Deiche. An der Rögnitz bringt das der aktuelle Planfeststellungsbeschluss mit sich. An der Sude, einem weiteren Nebenfluss der Elbe, sind sogar neue Eindeichungen geplant, die Möglichkeiten, nun neue Retentionsräume zu schaffen, bleiben ungenutzt. Man sollte meinen, dass hochrangige Schutzziele wie der Arten- und Biotopschutz und der Auenschutz in angemessener Art und Weise berücksichtigt und verfolgt werden. Dies vor allem, weil der Hochwasserschutz für die Siedlungen und Nutzflächen umweltschonend und ohne Beeinträchtigung der Natura 2000 Gebiete zu gewährleisten ist. Und auch, weil morgen der Tag des Artenschutzes begangen wird.

"Die bisher öffentlich vorgestellten Deichbaupläne für Sude, Krainke und Rögnitz berücksichtigen weder die Notwendigkeit, Retentionsräume für die Elbe zu schaffen, noch sind sie umweltgerecht ausgelegt," kritisiert Dr. Reinhard Löhmer, der stellvertretende Vorsitzender des BUND Niedersachsen e.V. "Vor allem aber missachten die geplanten Maßnahmen die höchsten Schutzkategorien für diese Flussniederung, die C-Gebiet des Biosphärenreservates und Natura-2000 Gebiet mit SPA (Special Protection Area bzw. europäisches Vogelschutzgebiet) und FFH-Status sind. Die Deichbau-Pläne stehen im Widerspruch zu den Zielsetzungen des nationalen und europäischen Naturschutzes!", sagte der engagierte Naturschützer und Tierökologe. "Es ist zu befürchten, dass hier Steuergelder wenig zukunftsträchtig und sinnvoll investiert, also eher sinnlos versenkt werden. Besonders beunruhigt den BUND, dass so die Naturschutzarbeit von Jahren in Gefahr gerät - die ökologische Entwicklung der Sudelandschaft - ein Projekt, in das der BUND viel Arbeit, Geld und Herzblut investiert hat!", mahnte Löhmer. "Das geht nicht, schon gar nicht zum Tag des Artenschutzes, aber auch an keinem anderen Tag!"

Die Planungen zum Neu- und Ausbau des rechten Elbdeiches in Amt Neuhaus, Landkreis Lüneburg, missachten den Landtagsbeschluss zum Hochwasserschutz im Amt Neuhaus (Niedersächsischer Landtag- 13. Wahlperiode, Drucksache 13/2064 S. 2) von Juni 1996: Der Landtag fordert dort die Landesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen der im Amt Neuhaus ... notwendigen Hochwasserschutzmaßnahmen die Möglichkeiten für die Schaffung von Retentionsmaßnahmen und Ausdeichungen ... ausgenutzt werden.

Auch der Erlass des Niedersächsischen Umweltministerium vom 15. Februar 1996 "Maßnahmen des Hochwasserschutzes im Binnenland" fände bei Durchführung der geplanten Deichbauprojekte keine angemessene Berücksichtigung: "- … muss vorrangiges Ziel eines vorbeugenden Hochwasserschutzes sein, vorhandene natürliche Retentionsräume - Überschwemmungsgebiete - unbedingt zu erhalten sowie zusätzliche wirksame Retentionsräume zu schaffen. ... Im Zuge der laufenden und geplanten Maßnahmen eingedeichte, frühere Überschwemmungsgebiete in den Talauen sind aus Gründen des Hochwasserschutzes oder des Naturschutzes wieder einer natürlichen Retention auszusetzen."

Die Pläne des Deichverbandes laufen zudem den Aussagen der NLWKN-Publikation aus dem Jahr 2005 zuwider: "Wie kann man sich vor Hochwasser schützen? Fazit: Der allseits anerkannte Leitsatz 'mehr Raum für Flüsse' gilt auch in Niedersachsen. Wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte sprechen dafür, die Flussauen wegen der bestehenden Hochwassergefahren nur extensiv zu nutzen."

Zum ökologischen Hintergrund:
Notwendige "Störung"

Allgemein ist natürlich jeder Deich eine Entkopplung/funktionale Trennung von Fluss und Aue. Der Deichbau nimmt der Aue ihr wesentliches Element: die starke Dynamik durch den extremen Wasserhaushalt (Hoch- und Niedrigwasser). Der Deichbau bewirkt für viele Lebensgemeinschaften eine Zerschneidung und/oder Verlust ihres Lebensraumes durch die
Veränderung der Wasserversorgung. Was vorher überflutet wurde, bleibt nun trocken und wird bestenfalls noch von Grundwasser (Qualmwasser) versorgt. Damit sind alle Tier- und Pflanzenarten, die an die speziellen Bedingungen der Aue (Winter/Frühjahrsnässe, starke Sommertrockenheit) angepasst sind, potenziell gefährdet. Die Austrocknung oder auch nur Verminderung der Wasserversorgung führt zum Lebensraumverlust der daran angepassten Tiere und Pflanzen. Dazu zählen Weißstorch, Schwarzstorch und selbstverständlich zahlreiche Amphibienarten. Der Auwald verliert dann seine hochwassergeprägte Überflutungsdynamik und verändert sich ebenfalls durch Artenschwund und -umbau - er degeneriert schließlich mit einem deutlichen Verlust an Arten.

Für die Dynamik der Flutmulden gilt ähnliches: Durchströmung, Erosion, zyklisches Neuentstehen offener Bereiche für immer neu siedelnde Arten fehlen dann, die Flutmulde durchläuft eine wenig gestörte Sukzession - was hier ein Manko ist. Die Konsequenz: die periodisch vernässten Bereiche verlanden und verschwinden schließlich ganz und mit ihnen die typischen Lebensgemeinschaften. Es ist vor allem also die Dynamik, die "Störung", die den Lebensraum Aue so besonders macht und eine Vielfalt erzeugt, die bewahrenswert ist. Zudem ist sie ein wichtiger Puffer für Hochwasser und als Wasserspeicher für den Landschaftsraum wichtig - nicht nur, aber auch am Tag des Artenschutzes.

Die ausführliche Stellungnahme des BUND zu den aktuellen Deichbauvorhaben steht hier zum Download (PDF-Format, ca. 2,5 MB) bereit, das beigefügte Foto zeigt den Weißstorch und stammt von Christian Damm, Lenzen.

Die Pressemitteilung (PDF-Format, ca. 46 KB) können Sie sich herunterladen.



 




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