19. Dezember 2007
"Planungschaos in Brake?" - Seit Wochen beschäftigt sich Niedersachsen mit den Turbulenzen um den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Die Hafenplanung am Boitwarder Aussengroden in Brake offenbart ebenfalls gravierende Planungsfehler.
Sind Umweltministerium und nachgeordnete Behörden überfordert?
Hannover - Der Bund für Umwelt- und Naturschutz, Landesverband Niedersachsen e.V. wurde am 15. November 2007 von Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG - als Träger der geplanten Hafenerweiterung in Brake - davon informiert, dass die Hafenanlage am Boitwarder Aussengroden um weitere zwei Liegeplätze für See- und Binnenschiffe erweitert werden soll. Das ist ungewöhnlich, da derartige Informationen in der Regel von der Behörde kommen, die die Beteiligung der Umweltverbände durchführt - nicht vom Träger der Baumaßnahme. Gleichzeitig wurde dem BUND mitgeteilt, dass nicht geplant ist, eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen. Der Hafenausbau solle im Rahmen eines Plangenehmigungsverfahrens zugelassen werden - dieser Beschluss ist im Nds. MBl. Nr. 49/2007 veröffentlicht.
Der BUND Niedersachsen hat die zuständige Zulassungsbehörde, den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft Küsten- und Naturschutz (NLWKN), und das Niedersächsische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde umgehend darauf hingewiesen, dass es rechtlich nicht zulässig ist, auf die Durchführung einer UVP und ein Planfeststellungsverfahren zu verzichten. Erst am Abend des 17. Dezember 2007, dem Vorabend eines vom BUND angesetzten Pressegesprächs, reagierte der NLWKN mit der telefonischen Ankündigung, nun doch eine UVP "anordnen" zu wollen. Damit würde gleichzeitig ein "ordentliches" Planfeststellungsverfahren ausgelöst.
Genehmigung noch gültig?
Im Zusammenhang mit dem Versuch, diese Hafenerweiterung ohne die erforderliche UVP durchzuführen, wurde der BUND erneut auf den im Bau befindlichen ersten Bauabschnitt der Braker Kaianlagen aufmerksam. Für diese erste Norderweiterung um einen Liegeplatz im Hafen Brake hatte Ministerpräsident Christian Wulff laut Niedersachsen Ports am Freitag, den 19. September 2007 den "ersten Rammschlag" ausgelöst. Der BUND stellt jetzt die Frage, ob dafür eine (noch) gültige Genehmigung vorlag. Der Planfeststellungsbeschluss für den Bau dieses ersten Liegeplatzes - damals als notwendig und dringlich dargestellt - stammt bereits aus dem Jahr 1989. Er war 1994 "unanfechtbar" geworden, verlor jedoch seine Rechtsgültigkeit 1999, weil mit dem Bau nicht innerhalb von fünf Jahren begonnen worden ist.
Bis Anfang 2006 wurden lediglich einige naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahmen im Bereich von Rodenkirchen und dem Landkreis Wesermarsch durchgeführt.
"Solche Maßnahmen reichen nicht aus, um von einem „Baubeginn“ der geplanten Hafenanlagen zu sprechen", meint Walter Feldt, Umweltsachverständiger und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des BUND. Die Beurteilung der Rechtskraft des alten Planfeststellungsbeschlusses ist somit strittig. Treffen die BUND-Zweifel zu, war die Genehmigung im Jahr 1999 bereits verfallen und der Rammschlag von Ministerpräsident Wulff im September rechtswidrig!
Brisant
Brisant ist aus Sicht des BUND, dass ein ehemals als "dringlich" bezeichneter Hafenausbau, mit dem spätestens 1994 begonnen werden konnte, bis 2006 nicht realisiert worden ist. "Da ergeben sich doch erhebliche Zweifel", so Carl-Wilhelm Bodenstein-Dresler, Landesgeschäftsführer des BUND Niedersachsen, "ob der damals dargelegte Bedarf als Voraussetzung für eine Genehmigung tatsächlich gegeben war. Denn begonnen wurden die Baumaßnahmen für die erste Erweiterung erst, als mehr als zwei Millionen Kubikmeter Bodenaushub aus Bremerhaven im Zusammenhang mit einem anderen wasserbaulichen Vorhaben in der Region kostengünstig untergebracht werden mussten. Auch das Vorgehen in Bezug auf den zweiten Bauabschnitt wirkt unkoordiniert oder zeugt von erstaunlicher Nonchalance - Planungschaos in Brake?", fragt der BUND Geschäftsführer.
Überfordert?
Beide Planungs- und Genehmigungsverfahren werfen nach Auffassung des BUND wichtige grundsätzliche Fragen auf:
- 1. Sind die Behörden und die neuen Behördenstrukturen mit Auflösung der Bezirksregierungen und des Landesamtes für Ökologie (NLÖ) in dieser Legislaturperiode noch hinreichend geeignet, ein Großvorhaben in Niedersachsen rechtskonform abzuwickeln und ist das Umweltministerium als Aufsichtsbehörde untätig, weil überfordert?
- 2. Werden Planungs- und Zulassungsverfahren für Großprojekte in Niedersachsen durch das wenig sorgfältige und rechtlich riskante Vorgehen der zuständigen Behörden behindert und verzögert? (Die Eingaben der dafür häufig gescholtenen Umwelt- und Naturschutzverbände waren für die Verzögerungen nachweislich jedenfalls nicht verantwortlich!)
- 3. Fehlt den Hafenerweiterungsplanungen in Brake eine wesentliche Voraussetzung – ein nachweisbarer Bedarf?
"Wenn ein Vorhaben, wie die erste Erweiterung in Brake über 15 Jahre nach Zulassung nicht realisiert wird, dann ist die Notwendigkeit des Vorhabens, die im Zulassungsverfahren geltend gemacht wurde, doch widerlegt. Wird es 'wiederbelebt', um anfallenden Aushub unterzubringen, ist das eine Sache. Wenn gleichzeitig aber eine Erweiterungsplanung in Angriff genommen wird, weil angeblich auf einmal ein noch größerer Bedarf besteht, dann stellt sich die Frage, ob hier nicht leichtfertig Steuergelder eingesetzt werden, um Weihnachtswünsche der Hafenwirtschaft zu bedienen!", monierte Bodenstein-Dresler am 18. Dezember 2007 im Umwelthaus in Hannover.
Zur Geschichte der Hafenentwicklung Boitwarder Aussengroden in Brake
(Hintergründe/Chronologie)
Bereits vor über 20 Jahren plante man aus "Kapazitätsgründen" eine seinerzeit als "dringlich" deklarierte Erweiterung des Braker Hafens. Diese "Norderweiterung" um einen Liegeplatz für Seeschiffe mit über 1.350 t wurde 1989 genehmigt. Bereits diese Planung war strittig:
Erst 1994 wurden anhängige Gerichtsverfahren abgeschlossen und die Zulassung unanfechtbar - die "dringliche Erweiterung" konnte nun beginnen. Passiert ist allerdings bis 1996 - abgesehen von einzelnen Kompensationsmaßnahmen im Bereich von Rodenkirchen (so genannte Extensivierungsmaßnahmen) und dem Landkreis Wesermarsch - nichts. Das "dringliche" Bauvorhaben selbst konnte offenbar warten. Fünf Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit (1994) der Planfeststellung verlor diese 1999 ihre Bestandskraft, weil mit der Baumaßnahme noch nicht begonnen worden war. Der Betreiber interpretiert die Kompensationsmaßnahmen aus dem Jahr 1996 nachträglich als "Baubeginn". Der BUND bezweifelt, dass diese als solcher zu werten sind.
Die Interpretation des Betreibers, dass man vor 1999 mit der Umsetzung des Vorhabens begonnen habe, ist aber eine wesentliche rechtliche Voraussetzung für Ablagerung von über zwei Mio. Kubikmeter Bodenaushub, die beim Bau der hafenbezogenen Wendestelle 2006 in Bremerhaven angefallen sind. Für sie suchte bremenports eine kostengünstige Unterbringungsmöglichkeit ohne zusätzliches Genehmigungsverfahren. Gleichzeitig sah man in Brake offensichtlich die Möglichkeit, das "dringliche Projekt" vom Ende der 1980er Jahre nun doch noch zu starten. Zur Erinnerung: Voraussetzung einer Zulassung jedes Infrastrukturvorhabens ist die Darlegung, dass das Projekt erforderlich ist, dass der Bedarf für die Anlage nachweislich vorhanden ist (Das ist die so genannte Planrechtfertigung). Schließlich kommen schon für eine Planung und die erforderlichen Zulassungsverfahren Steuergelder zum Einsatz.
Was 17 Jahre Zeit hatte, soll nun ganz schnell gehen. Gleichzeitig will man gleich noch ein bisschen mehr Hafen in Brake - obwohl der Bedarf nach der genehmigten ersten Liegestelle offensichtlich bislang nie so groß war, dass mit dem Bau rechtzeitig vor Ablauf der Fristen begonnen wurde. Auf Wunsch der Hafenwirtschaft sollen nun aber Kaianlagen für zwei weitere Schiffe realisiert werden. Das neue Projekt würde zusätzlich rund 30 Hektar überwiegend für den Naturschutz wertvolle und nach § 28a Niedersächsisches Naturschutzgesetz geschützte Flächen dauerhaft zerstören.
Ministerpräsident Wulff führte im September 2007 den ersten Rammschlag aus - wohlgemerkt für den ersten Bauabschnitt - für ein Projekt, bei dem es nach Darlegung des BUND zweifelhaft ist, ob überhaupt (noch) eine rechtswirksame Zulassung vorliegt. Noch zweifelhafter ist hingegen aus Sicht des Naturschutzverbandes der Bedarf von zwei weiteren Liegeplätzen.
Zu Fragen des Bedarfs an weiterem Ausbau äußert sich WATERKANT (Download im PDF-Format, ca. 170 KB).